50 Jahre und kein bisschen weise
Seit zwei Jahren müht sich SAP-Chef Christian Klein ab, die Baustellen seines Vorgängers Bill McDermott zu sanieren und SAP wieder eine Perspektive zu verleihen. Vieles ist dem jungen CEO gelungen, weil er ein sehr charmantes Wesen besitzt, aber Berge hat er keine versetzt. Im Gegenteil: Probleme wurden nicht gelöst, sondern verlagert und sind somit noch größer geworden.
Was Analysten aktuell von SAP halten, lässt sich deutlich am Aktienkurs ablesen. Dieser pendelt um die 90 Euro, meistens liegt er darunter. Dieser Zustand muss für Aktionäre und allen voran Professor Hasso Plattner doppelt schmerzhaft sein, denn die Analysten von Credit Suisse, Goldman Sachs, UBS, Warburg Research und Baader Bank sehen ein hohes Potenzial in der Aktie. Deren Bewertungen von Mitte Mai dieses Jahres schwanken zwischen 130 und 146 Euro je Aktie.
SAP hat laut den Finanzanalysten „Room for Improvement“, aber Christian Klein kann als SAP-Chef dieses Potenzial offensichtlich nicht umsetzen. Als erstes Bauern-opfer in dieser misslichen Lage gilt SAP-Finanzvorstand Luka Mucic – was seltsam anmutet: Letztendlich geht von ihm die Kommunikation zu den Analysten aus. Wenn es Mucic gelingt zu überzeugen, dass SAP im wirklichen Leben mehr wert ist, als es der aktuelle Börsenkurs widerspiegelt, dann sollte Professor Hasso Plattner ihn nicht als Spielverderber vor die Tür setzen.
Luka Mucic hat ein Problem: Seit seinen ersten Tagen bei SAP überzeugte er durch Fachwissen, Brillanz, Genauigkeit, Umsicht und Weitblick, aber er hatte nie eine emotionale Bindung zu Hasso Plattner. Was Mucic vorgibt, sollten andere SAP-Vorstände realisieren. Unter Führung von Christian Klein sollten Technikvorstand Jürgen Müller und Applikationsvorstand Thomas Saueressig genau diese Potenziale realisieren, damit der Aktienkurs wieder deutlich über 100 Euro liegt.
Die Wurzel des Übels liegt demnach nicht bei Luka Mucic, der nun die Reißleine gezogen hat und Anfang kommendes Jahr dann SAP verlassen wird. Die Herausforderungen liegen bei Technikvorstand Jürgen Müller, der jedoch als ehemaliger Doktorand am Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam eben durch Professor Plattner geschützt ist. Applikationsvorstand Thomas Saueressig hingegen wird durch CEO Christian Klein beschützt, was ebenso viel zählt. Auf der Abschussliste hingegen scheinen die Vorstände Sabine Bendiek und Julia White zu stehen, beide kamen von Microsoft.
Schwache Aktie und Strategie
Aus der Kombination schwacher Aktienkurs, schwache Strategie, schwacher Chef entsteht aktuell die Wiederbelebung einer alten Diskussion: die Übernahme von SAP durch Microsoft. Dieses Vorhaben galt einst als eines vieler Lieblingsprojekte von Dietmar Hopp und Hasso Plattner. Damals aber überstrahlte SAP den gesamten B2B-IT-Markt und einen Zusammenschluss von Microsoft und SAP hätten weder das Kartellamt in Bonn noch die EU-Behörde in Brüssel durchgewinkt.
SAP ist noch immer der intellektuelle ERP-Weltmarktführer, aber viele Mitbewerber haben das Kräfteverhältnis verschoben. Gut möglich, dass nun eine Übernahme durch Microsoft keinen Argwohn mehr auslösen würde. Die Umsetzung des einstigen Plans wird naturgemäß durch den niedrigen SAP-Aktienkurs zusätzlich wahrscheinlicher. Auch wenn Luka Mucic immer wieder betont hat, dass der Aktienkurs nicht die wahre Stärke von SAP widerspiegelt, und einige Finanzanalysten es ähnlich sehen – solange sich an der Konstellation Christian Klein und Hasso Plattner nichts ändert, wird SAP in einem Schwebezustand verharren.
Sehr prägnant und mit einem Satz hat Manager-Magazin-Autorin Christina Kyriasoglou in der aktuellen Juli-Ausgabe des Magazins auf Seite 46 den SAP-Zustand zusammengefasst: „Neben der schweren Umstellung des Softwaregeschäfts auf die Cloud und einer ausgetrockneten Innovationspipeline tun sich Abgründe in der Unternehmenskultur auf.“ Es gibt demnach nicht ein Problem bei SAP, sondern viele – und offensichtlich will Hasso Plattner in den kommenden zwei Jahren gemeinsam mit Christian Klein alle diese Probleme lösen. Eine Herkulesaufgabe.
Microsoft-Moment
MM-Autorin Christina Kyriasoglou zitiert in ihrer brillanten Analyse einen unbekannten Informanten. Frau Kyriasoglou schreibt: „,SAP braucht einen produktversessenen CEO‘, sagt ein Insider mit Blick auf den eindrucksvollen Wandel des Microsoft-Konzerns unter Satya Nadella. Einen Nadella-Moment, um wieder zu altem Glanz zurückzufinden. ‚Aber einen Nadella kann sich Hasso Plattner nicht leisten, also wird wohl auch kein solcher Moment kommen.‘“ Mit dieser Ansage schließt sich der Kreis und die Option einer Übernahme von SAP durch Microsoft wird immer wahrscheinlicher.
Es könnte passieren, dass Professor Plattner keinen anderen Ausweg mehr sieht, nach Luka Mucic nun auch Christian Klein zu verabschieden und dann mit gebotenem Abstand auch Jürgen Müller und Thomas Saueressig. Um den vakanten SAP-Chefsessel werden dann Marketingvorständin Julia White und Vertriebsvorstand Scott Russell diskutieren. Sollte bis dahin jedoch der Einfluss von Microsoft auf SAP wachsen, hat sicher Frau White die besseren Karten.
Auch wenn die aktuelle Kritik an SAP ähnlich dem Hornberger Schießen ausgeht, die Position von Christian Klein ist trotz aller Sympathie von Hasso Plattner gefährdet: Der langjährige Mentor von Klein war ursprünglich als Plattner-Nachfolger vorgesehen, was für den jungen SAP-CEO ein Jackpot gewesen wäre. Bezüglich Gründen, die außerhalb von SAP liegen, wird es zu dieser interessanten Konstellation und Nachfolgeregelung nun nicht kommen. Christian Klein wird in den kommenden zwei Jahren gemeinsam mit Hasso Plattner durch dick und dünn gehen müssen.
Hauptversammlung 2022: Das wird nichts mehr
Wer sich einen Überblick über den Zustand der SAP abseits von Betriebswirtschaft und Technik verschaffen will, soll sich die Aufzeichnung der SAP-Hauptversammlung ansehen. So wenig Respekt gegenüber den Aktionären ist kaum noch zu überbieten. Ein Sittenbild.
Die Hybris des SAP-Aufsichtsrats und -Vorstands war mit Händen greifbar, auch wenn es eine virtuelle Hauptversammlung war. Die Sorge um SAP erscheint berechtigt: Wie löst der Konzern Probleme? Wie kommunizieren die Vorstandsmitglieder? Welches Bild will der Aufsichtsrat und Vorstand den Aktionären, Bestandskunden, Analysten, Partnern und der gesamten SAP-Community vermitteln? Nicht einmal zur jährlichen Hauptversammlung, also dem Pflichttermin, schafften es alle Vorstandsmitglieder zu einer persönlichen Anwesenheit in Respekt gegenüber den Aktionären.
Es scheint so, als wäre SAP mental nie über den Zustand eines Familienunternehmens hinausgekommen. Der Produkterfolg im ERP-Markt ist überwältigend, aber die Strukturen, die Aufbau- und Ablauforganisation, sind ernüchternd. Manager-Magazin-Autorin Christina Kyriasoglou meint in der aktuellen Juli-Ausgabe des Magazins, dass sich Abgründe in der SAP-Unternehmenskultur auftun. Für einen Weltkonzern, der sich auf der Hauptversammlung der Welt präsentieren sollte, war die Onlineveranstaltung eine schwache Visitenkarte.
Somit war das Geschehen auf der Hauptversammlung belanglos bis vorhersehbar: Die Hauptversammlung hat allen Vorschlägen von Vorstand und Aufsichtsrat zugestimmt. Professor Hasso Plattner wurde mit 90,48 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Plattner bedankte sich bei den Aktionären für ihre Unterstützung und ihre Investition in SAP: „In den 50 Jahren meines Wirkens für dieses Unternehmen habe ich eines gelernt: Die SAP ist ein großartiges Unternehmen, das sein Potenzial immer weiter entfaltet. Ich empfinde es als Ehre und Privileg, dass ich dieses Unternehmen gründen, formen, entwickeln und führen konnte. Und ich freue mich darauf, dies auch in den kommenden zwei Jahren weiter zu tun.“