Die Prozesse sind der Schwerpunkt von S/4
Auch die laufende S/4-Strategieänderung von SAP hat Auswirkungen auf die Prozesse.
Der ursprüngliche Ansatz „Cloud-only“ wurde auf Druck des Anwendervereins DSAG auf
„Cloud-first“ geändert. Aufgrund der vergangenen Entwicklungen musste SAP zur Kenntnis nehmen, dass sich zumindest bei den Bestandskunden in Europa überwiegend die hybriden Systemlandschaften durchsetzen. Die betroffenen Cloud- und SaaS-Lösungen müssen dabei in die On-prem-Prozesse integriert werden.
Für ERP-Softwareentwickler wie SAP müssen natürlich auch die Werkzeuge und Softwarelösungen für die Prozessbearbeitung ein Schwerpunkt sein. Allerdings machen die Änderungen bei der Produktstrategie und die kurzen Produktlebenszyklen den Kunden viele Probleme. Die neuen Ansätze vervielfachen den ohnehin großen Aufwand für das komplexe Thema. Viele Jahre wurden die Geschäftsprozesse durch die persönliche, freundschaftliche Beziehung der SAP-Gründer zur Scheer mit der Aris-Lösung in diversen Releases bearbeitet und dokumentiert. Die Entwicklung endete sogar mit einer Integration im Solution Manager.
Nachdem auch die Softwarelösungen für Prozesse große technologische Neuentwicklungen durchgemacht haben, wurde Aris durch einen der europäischen Marktführer, Celonis, abgelöst. Die groß angekündigte Zusammenarbeit und die Vorteile durch das neue Produkt hielten nicht lange. Die neue Starlösung Signavio in den Augen von SAP wurde gleich gekauft und soll umgehend in ALM integriert werden. Alle Firmen und Personen, die sich schon mit Prozesserhebungen, -dokumentation und deren laufender Pflege beschäftigt haben, wissen, was solch „agile“ Entwicklungen bedeuten.
Etwas anders sieht es mit den Prozessen bei diversen Projektansätzen wie Greenfield, Brownfield (und deren Varianten) oder einer Transition aus. Ursprünglich wurden nur bei der Greenfield-Variante, also Neueinführungen, die Prozesse bearbeitet, weil damit gleich alle technischen Tabellenänderungen auf Belegebene berücksichtigt werden können. Diesbezüglich sollte man auch wissen, dass das Thema Prozesse mit Steigerungen bei den Projektkosten und der Projektlaufzeit verbunden ist.
Daher haben sich im Laufe der Transition-Jahre neue Vorgänge durchgesetzt, die mit Vorteilen, aber auch mit Nachteilen verbunden sind. Viele Kunden vermeiden die Greenfield-Variante wegen des Mehraufwands bei den Prozessen und teilen das Projekt in zwei Phasen. Zuerst erfolgt die technische Transition und erst in der Folge werden die betroffenen Prozessänderungen durchgeführt. Das hat aber nur dann Sinn, wenn wenige Korrekturen notwendig sind. Der Grund dafür ist, dass bei einer Prozessänderung nach einer Transition oder im Zuge der Brownfield-Varianten alle betroffenen Belege programmtechnisch geändert werden müssen, was mit viel Aufwand verbunden ist. Oft werden solche Folgeprojekte aber vom Management nicht mehr genehmigt oder „die Luft im Projekt ist draußen“.
Abgesehen von den angeführten Begleiterscheinungen bleiben die Prozesse der wesentliche Schwerpunkt, weil diese unmittelbare Auswirkungen auf den Geschäftserfolg haben. Eine Strukturierung und Gliederung zumindest nach Steuerungs-, Kern- und Supportprozessen ist notwendig.
Die Basis für die erfolgreiche Bearbeitung sind eine lückenlose Ist-Aufnahme und Dokumentation, wobei ein aktueller Stand Voraussetzung ist. Damit steht die Ermittlung der Soll-Prozesse mit allen Fachbereichen im Mittelpunkt. In dieser schwierigsten und zeitaufwendigsten Phase sind erfahrungsgemäß qualifizierte, motivierte und entscheidungsfähige Menschen die allerwichtigsten Faktoren. Die dokumentierten Soll-Prozesse werden durch eine GAP-Analyse mit den Systemprozessen abgeglichen und systemtechnisch umgesetzt. Fehlende Standardapplikationen für Soll-Prozesse bedürfen Eigenentwicklungen oder der Änderung der Soll-Prozesse.