Kann KI auch ERP?
Der jüngste Boom der KI, insbesondere im Bereich der Sprachverarbeitung, wurde durch Fortschritte bei Deep-Learning-Techniken und die Verfügbarkeit großer Datenmengen angeheizt. Dies hat KI-Modelle wie zum Beispiel ChatGPT in die Lage versetzt, Texte in natürlicher Sprache mit bemerkenswerter Genauigkeit und Sprachgewandtheit zu verstehen und zu erzeugen.
Und genau solch einen Text haben Sie gerade gelesen. Beeindruckend, nicht wahr? Aber wie kommen wir von generierten Texten und Bildern zu operativen Geschäftsprozessen und unserer geliebten ERP-Software?
Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf den Track-Record intelligenter Ansätze im Unternehmenseinsatz. Sie haben doch sicherlich auch schon einmal einen Support-Chat verwendet. Deren „Intelligenz“ zeichnet sich meistens dadurch aus, dass genau dann, wenn wirkliche Intelligenz gefordert war, an einen echten Mitarbeiter übergeben wurde. Solche regelbasierten Chatbots, die vor allem im Service- und -Supportbereich eingesetzt werden, können einfache Routine-Geschäftsvorfälle effektiv bearbeiten. Ihre Funktion ist jedoch meistens durch das „Wissen“ beschränkt, welches ihnen vorher durch Entwickler beigebracht wurde, und sie fallen damit in dieser Form nicht unter eine engere Definition von KI.
Darüber hinaus verwenden viele Firmen heute bereits Tools, die durch maschinelles Lernen automatisierte Prozesse ermöglichen, wie zum Beispiel Dokumentenklassifikation im Posteingang, Spam-Erkennung bei E-Mails oder auch Fraud Detection im Financials-Umfeld. Im nächsten Schritt reden wir hier aber von einer KI, die einem Anwender nicht nur den vorläufigen Unternehmensgewinn von Q4 ermitteln kann, sondern gleich noch dazu erklären kann, warum dieser Gewinn signifikant von Q3 abweicht.
Jede KI muss zunächst mit Wissen trainiert werden, um sinnvolle Ergebnisse liefern zu können. Doch was ist Wissen im Unternehmenskontext? Wissen über Prozesse ist in vielen Unternehmen überwiegend statisch. Abläufe sind detailliert in Organisationshandbüchern festgehalten. Bei den Daten des Unternehmens hingegen regiert die Echtzeit. Jede Stunde werden Tausende Datensätze und damit Informationen im System angelegt oder geändert und damit neues potenzielles Wissen geschaffen.
Neben der Entscheidung, welche Prozesse und Daten in das KI-Wissen einfließen, muss zusätzlich konzeptionell und technisch sichergestellt werden, dass in der Interaktion mit Nutzern auch nur die für sie erlaubten Prozesse und Daten von der KI verwendet werden. Die KI muss ihre Rolle, in der sie agieren darf, kennen und deren Grenzen einhalten. Im genannten Beispiel mit dem Support-Chatbot möchten Sie sicherlich verhindern, dass ein Kunde den Bot (die KI) über Bestellungen oder Stammdaten anderer Kunden ausfragt oder gar deren Kundenkonto kündigt.
Darüber hinaus haben wir bereits gesehen, dass die kreative Anwendung von Wissen eine Stärke von KI sein kann. Wie verhindert man jedoch zu viel Kreativität, wenn die KI zum Beispiel in der Rolle eines Buchhalters agiert, Abschreibungen buchen soll und selbstständig die Abschreibungsdauer des Anlageguts bestimmen möchte? Und wie kann man die nicht deterministischen Entscheidungen und Ergebnisse der KI später nachvollziehen – Stichwort Compliance und Revisionssicherheit? In diesem Zusammenhang sei auf eine Interaktion mit ChatGPT verwiesen, in der die KI sich im Laufe des Gesprächs überzeugen ließ, dass 3 + 4 = 8 ist.
Im C-Level-Management ist spätestens mit dem Hype um ChatGPT das Thema KI auf dem Radar aufgetaucht. Allerdings hat das Beispiel Blockchain gezeigt, dass allein die Existenz einer neuen Technologie ohne sinnvolle Anwendungen im Unternehmenskontext zum Scheitern verurteilt ist. Auch im Fall von KI wird es auf erfolgreiche Lighthouse-Projekte ankommen. Sobald diese wirklichen Mehrwert demonstrieren, ist durchaus ein großflächiger Durchbruch dieser vielversprechenden Technologie möglich.