Das Bangen der Retailer
Das KassenSichV-Regelwerk schreibt vor, was elektronische oder computergestützte Kassensysteme und Registrierkassen zwingend können müssen. Stationäre Händler, neben Covid in den vergangenen Jahren ohnehin durch Digitalisierung und Internethandel unter großem Druck, hatten auch die Anpassung ihrer Systeme an die neue Gesetzeslage zu stemmen. Während kleinere Händler ihre Kassen um Funktionalitäten für die KassenSichV erweitern konnten, war das im SAP-Umfeld nicht so einfach möglich.
SAP hält sich zurück
Unternehmen, die SAP verwenden, setzen unterschiedliche Lösungen zur Abwicklung von Barverkäufen ein. Um diese KassenSichV-fit zu machen, müssen sie die individuellen Anpassungen eigenständig umsetzen. Dazu kommt, dass aufgrund des aufwändigen Zertifizierungsprozesses nur eine überschaubare Zahl von Unternehmen technische Lösungen für die KassenSichV anbietet. SAP selbst bietet keine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung (TSE) an. Und auch die von SAP angebotene Hilfestellung im Zusammenhang mit der KassenSichV ist überschaubar. SAP ist beim Thema KassenSichV also vornehm zurückhaltend – als Kunde hingegen kann einem angst und bange werden.
Mit dem SAP Customer Checkout ist zwar seit einiger Zeit eine respektable Point-of-Sale-Lösung für Einzelhandel, Kioske und Gastronomie verfügbar. Damit hat SAP ein echtes Alleinstellungsmerkmal, denn es gibt nicht viele Anbieter solcher vollintegrierten Produkte. Andererseits eignet sich eine derart umfangreiche Software mit großer Affinität zu anderen SAP-Produkten eben auch nicht für jede Kundenanforderung am POS.
POS ohne neue Datensilos
Was also tun, wenn man als Retailer irgendwo zwischen Kiosk und Großkonzern liegt? Vermutlich das, was auch unser langjähriger, international erfolgreich tätiger Kunde aus dem Getränkehandel getan hat: sich anderweitig umsehen. Mit einem hohen POS-Anteil am Verkauf benötigt er eine starke Lösung, die sich in bestehende Prozesse und Anwendungen integriert. Eine, die in der Lage ist, komplexe Anforderungen wie Shop- und Rampenverkauf, Bestandskundenverwaltung, Abnahmemengenprüfung und Retourenabwicklung im Barverkauf zu berücksichtigen. Dazu kommt, dass der Händler seine gut gepflegten Kunden- und Produktstammdaten aus dem konzernweiten SAP ERP verwenden und keine neuen Datensilos aufbauen möchte.
Diese Vorgaben wären ohnehin schon eine beachtliche Herausforderung, in der Evaluierungsphase sind aber noch einige zusätzliche kundenspezifische Besonderheiten dazugekommen. Der Proof of Concept zeigte aber, dass die Entwicklung eines eigenen, parametrisierbaren Produkts zielführender ist. Entsprechend dem Snap-Communitygedanken, dem zufolge Neuentwicklungen immer der Gemeinschaft aller Software-Nutzerinnen und -Nutzer zugutekommen, vereinbarten wir also ein Pilotprojekt: die Kassenlösung für SAP.
Die neue Anwendung ist in das ERP/ECC 6.0 bzw. in S/4 Hana integriert und verwendet Kunden- und Materialstamm sowie die Prozesse im Vertriebsmodul Sales and Distribution von SAP. Neben den zuvor erwähnten Features und typischen Kassenfunktionen bietet die Kassenlösung auch bargeldlose Zahlung an und schützt, wie gesetzlich vorgeschrieben, die Kassentransaktionen gegen Manipulation. Die Signaturkomponenten für die Kassenlösung kommen von den Vertrauensdienstleistern Globaltrust (AT) und Fiskaly (DE), deren Cloud-Services wir integrieren.
Der Go-live der ersten Ausbaustufe wird im zweiten Quartal 2023 in einem kürzlich akquirierten Tochterunternehmen des Getränkegroßhändlers stattfinden. Das nächste Release, mit Features wie elektronischer Unterschrift beim Rampenverkauf, ist gegen Jahresende vorgesehen. Nach der erfolgreichen ersten Implementierung wird die Kassenlösung für SAP auf alle zehn Standorte in Österreich ausgerollt. „Das Bangen der Retailer“ hat damit, zumindest für diesen Kunden, definitiv ein Ende.