Citizen Developer: Potenzial von Low-Code/No-Code in der SAP-Community
70 Prozent der von Bitkom Befragten gingen davon aus, dass sich dieser Mangel künftig noch verschärfen wird. Zumindest bei dieser letztgenannten Einschätzung dürfte die Zustimmung zwischenzeitlich um etliche Prozentpunkte gesunken sein. Denn nachdem die Zahlen für die Bitkom-Untersuchung erhoben worden waren, machte das Unternehmen OpenAI seine generative künstliche Intelligenz ChatGPT für alle zugänglich – und stellte damit vieles infrage. So zum Beispiel, ob Software wirklich nur mithilfe von Programmiersprachen entwickelt werden kann. Oder ob das nicht ganz einfach auch mit natürlicher Sprache möglich ist. Wir sind überzeugt: In fünf bis zehn Jahren kann jeder Mensch eine Entwicklerin oder ein Entwickler sein. Programmierkenntnisse sind dann nur noch für sehr komplexe Fälle erforderlich. Wenn überhaupt.
Transformationsschub mit No-Code/Low-Code
Bis es so weit ist, sind No-Code-/Low-Code-Plattformen eine hervorragende Brückentechnologie. Sie lassen sich zwar nicht ganz so voraussetzungslos nutzen, wie wir es für generative Programmier-KI der Zukunft erwarten. Dafür ermöglichen die Plattformen Business-Anwenderinnen und Business-Anwendern aber schon heute, mithilfe einer visuellen Programmieroberfläche selbst Software zu realisieren, die in allen Aspekten den Vorgaben an die Unternehmens-IT entspricht. Dadurch wird ein erheblicher Transformationsschub wahrscheinlich, durch den Prozesse, die schon längst hätten digitalisiert werden sollen, endlich digitalisiert werden.
Mittlerweile gibt es ein breites Spek-trum an Low-Code-/No-Code-Plattformen, die auf unterschiedliche Use Cases und Technologien zugeschnitten sind. SAP Build und die Plattform von Mendix spielen dabei eine maßgebliche Rolle. Für SAP-Anwenderunternehmen sind beide Technologien eine solide Grundlage. Was die bessere Wahl ist, hängt von den individuellen Anforderungen, den Zielen und der vorhandenen technologischen Landschaft ab.
SAP Build und Mendix
SAP Build (als Teil der SAP Business Technology Platform, BTP) zeichnet sich – wenig überraschend – vor allem durch die tiefe Integration in bestehende SAP-Systemlandschaften aus. Nutzerinnen und Nutzer haben die Möglichkeit, bereits implementierte Lösungen von SAP an ihre individuellen Anforderungen anzupassen und gezielt um Workflows, Anwendungen, RPA-Routinen und ganze Portale zu erweitern. Für die Entwicklung von Software ohne einen SAP-Bezug eignet sich SAP Build hingegen nur bedingt. Bei der Mendix-Plattform sieht das anders aus: Hiermit lässt sich grundsätzlich Software für jede technologische Umgebung entwickeln – wobei die inhaltlichen Stärken in den Bereichen Workflows und Prozessautomatisierung, Customer-Experience-Apps und Cloud-Migration liegen. Aufgrund der strategischen Partnerschaft zwischen Mendix und SAP ist gleichzeitig eine tiefe Integration in bestehende SAP-Systemlandschaften gegeben. Damit ist die Technologie insbesondere für Unternehmen attraktiv, die einerseits auf Business-IT von SAP setzten, anderseits aber auch Anwendungen und Systeme anderer Anbieter nutzen, um Use Cases zu verwirklichen.
Neben SAP und Mendix hat sich eine Reihe weiterer etablierter Größen am Markt positioniert. Dazu zählen zum Beispiel Appian, Microsoft, OutSystems und ServiceNow. Und noch weitere Unternehmen bieten spezialisierte Plattformen an – wobei die Anzahl kontinuierlich steigt.
Systematischer Einsatz
Welches Potenzial im No-Code-/Low-Code-Ansatz steckt, haben nicht nur die Anbieter, sondern mittlerweile auch die Anwenderunternehmen erkannt. Viele von ihnen sind derzeit dabei, die verschiedenen Möglichkeiten zu erkunden. Einen systematischen Einsatz haben allerdings bislang die allerwenigsten Unternehmen etabliert. Das sollten sie so schnell wie möglich ändern – denn künftig wird es ein erfolgskritischer Faktor sein, wie gut Unternehmen beziehungsweise deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den neuen Programmiertechnologien umgehen können.
Als ein Hemmnis für den systematischen Einsatz einer Low-Code-/No-Code-Plattform können sich unter Umständen die damit verbundenen Kosten herausstellen. Diese müssen gegenüber der Unternehmensführung sinnvoll begründet und gegen den Aufwand für die herkömmliche Softwareentwicklung abgegrenzt werden. Eine Total-Cost-of-Owner-ship-Betrachtung zeigt in der Regel sehr deutlich, dass unmittelbar durch die Low-Code-/No-Code-Technologie verursachte Kosten – also etwa Aufwände für Lizenzen, Schulungen und den Aufbau der Organisation – in einem kurzen Zeitraum durch erworbene Fachkenntnisse, wiederverwendbare Architektur- und Softwarelösungen und den Roll-out von Software im gesamten Unternehmen kompensiert werden können.
Prozessuale Integration und Agilität
Damit das Kalkül aufgeht und Low-Code-/No-Code-Plattformen wirklich systematisch und damit wertschöpfend zum Einsatz kommen, ist eine ganzheitliche Definition der Organisation und der Prozesse erforderlich. Denn nur so lässt sich zum einen die Agilität der Low-Code-/No-Code–Entwicklung unterstützen und können zum anderen die Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Compliance erfüllt werden. Vor diesem Hintergrund ist es bei der Einführung von Low-Code-/No-Code-Plattformen sinnvoll, eine zentrale, verantwortliche und durch den CIO beauftragte Anlaufstelle als Center of Competence (CoC) aufzubauen. Das CoC übernimmt die Koordination der unterschiedlichen internen und externen Stakeholder und organisiert Schulungen, es schafft einen geeigneten technologischen Rahmen (etwa in Bezug auf die Infrastruktur, APIs und Daten) und treibt nach der Einführung die Weiterentwicklung der Plattform-Komponenten voran.
Neben einem CoC als Akteur erfordert die Einführung einer Low-Code-/No-Code-Plattform eindeutige Richtlinien im Sinne einer IT-Governance. Diese sollten in enger Zusammenarbeit von IT-Expertinnen und -Experten, Business-Entwicklerinnen und -Entwicklern aus den Fachbereichen sowie der Unternehmensführung formuliert werden – angeleitet durch das Center of Competence. Dadurch soll erreicht werden, dass die technischen Anforderungen und die Unternehmensziele gleichermaßen berücksichtigt werden.
Schulungen, eine klare Kommunikation und Möglichkeiten zur Partizipation sind entscheidend, um alle Beteiligten mit den Richtlinien und den sich daraus ergebenden Entwicklungs- und Deployment-Prozessen vertraut zu machen und sicherzustellen, dass sämtliche Governance-Aspekte tatsächlich berücksichtigt werden. Das gilt vor allem, weil Menschen ohne einen expliziten IT-Hintergrund nicht operativ eingebunden sind, sondern im Fokus der gesamten Initiative stehen. Ausgehend von einer kontinuierlichen Überwachung können die Organisation und die Prozesse agil an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden.
Technische Integration und Sicherheit
Neben der organisatorischen und prozessualen Integration von Low-Code-/No-Code-Organisation kommt es natürlich auch auf eine technologische Integration an. Ziel ist dabei, eine skalierbare Infrastruktur zu schaffen, die sich nicht nur funktional nahtlos in die bestehende Landschaft einfügt, sondern auch die etablierten Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz erfüllt. Das setzt zum einen standardisierte APIs voraus, die auf die jeweilige Daten- und Lösungs-Architektur abgestimmt sind und so eine reibungslose Interaktion der Low-Code-/No-Code-Anwendungen mit bestehenden Systemen und Datenquellen ermöglichen.
Zudem ist eine robuste Sicherheitsarchitektur unerlässlich, die sowohl die Low-Code-/No-Code-Plattformen, die damit realisierten Anwendungen und die bestehende Landschaft umfasst. Zu einer solchen Architektur sollten unbedingt auch Komponenten für die Verschlüsselung, die Zugriffskontrolle und die Authentifizierung zählen. Sind diese Komponenten einmal sauber umgesetzt, können sie als Basismodule bei der Entwicklung neuer Anwendungen wiederverwendet werden. So ergeben sich auch Synergien, die den Aufwand reduzieren und für eine Standardisierung in der Architektur sorgen. Grundvoraussetzung für die technologische Integration ist die Bereitstellung flexibler und skalierbarer Cloud-Umgebungen, die eine unmittelbare Realisierung von digitalen Lösungen im Unternehmen überhaupt erst ermöglichen.
Neben der systematischen Etablierung von Low-Code-/No-Code-Plattformen sehen sich Unternehmen aktuell außerdem mit der Frage konfrontiert, ob sie gegebenenfalls mehrere und, wenn ja, welche Plattformen sie integrieren sollen. Eine Antwort darauf kann jedes Unternehmen nur individuell für sich selbst finden. Und zwar, indem es eine Reihe von Entscheidungen im Kontext von verschiedenen Aspekten trifft. So sollten auf jeden Fall die bestehende IT-Landschaft, die aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Anwenderinnen und Anwender sowie die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten, die die verschiedenen Plattformen bieten, in den Blick genommen werden.
Qual der Wahl
Die getroffene Entscheidung dann nachvollziehbar zu begründen, ist absolut erfolgskritisch. Denn damit eine Low-Code-/No-Code-Initiative wirklich zum Erfolg wird und einen relevanten Einfluss auf das Unternehmen hat, kommt es vor allem auf das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an – viel mehr noch als bei reiner Anwendungssoftware. Sie müssen selbst den Wunsch haben, zumindest ein Stück weit zu Softwareentwicklerinnen und -entwicklern zu werden und das Realisieren digitaler Lösungen als festen Bestandteil ihrer Jobs zu verstehen. Mit dieser Motivation und einer erfolgreichen organisatorischen, prozessualen und technischen Integration ist der Grundstein für einen weiteren Digitalisierungstreiber gelegt.