SAP IS-Healthcare soll durch ein KIS verschiedener Hersteller abgedeckt werden
Die Worte von SAP-Chef Christian Klein sind mittlerweile legendär: „Wir lassen niemanden zurück.“ Leider soll die Aussage nur für die digitale Transformation des ERP-Kernsystems von ECC 6.0 auf S/4 in der Cloud gelten. SAP-Industrielösungen wie IS-H sind offensichtlich davon ausgenommen. Die Ankündigung von SAP im Oktober 2022, keine Nachfolgelösung für die Branchenlösung SAP Industry Solution Healthcare (I-SH) – auch bekannt als SAP-Patientenmanagement – in der S/4-Welt anzubieten, sorgte bereits für Unruhe in der Healthcare-Branche. Auch Auswirkungen auf den Markt für Krankenhausinformationssysteme sind bemerkbar.
Aktuell bekommen Kliniken und Krankenhäuser die Auswirkungen des SAP-Strategiewechsels noch ein weiteres Mal zu spüren: Oracle Cerner hat angekündigt, die Betreuungsverträge für das Lösungspaket IS-H Reklamations-Monitor (RKT) nicht zu verlängern. RKT wird aus IS-H heraus aufgerufen und unterstützt die Prozesse zur Bearbeitung, Dokumentation und Auswertung der Daten im Zusammenhang mit Kassenreklamationen, Prüfungen des Medizinischen Dienstes und sonstigen Reklamationen zu einem Behandlungsfall. Es ist in vielen Kliniken unabdingbar. Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe ist diese Abkündigung ein weiterer herber Schlag für die Branche.
SAP, Oracle und Cerner
Die Gesundheitsbranche und insbesondere Krankenhäuser stehen vor der Herausforderung, dass es keine Nachfolge für die SAP-Branchenlösungen SAP-Patientenmanagement für Gesundheitseinrichtungen und Cerner i.s.h.med, das klinische Informationssystem von Partner Cerner, gibt. SAP will Optionen für das modulare Krankenhaus-IT-System bieten. Anbieter von Krankenhausinformationssystemen sollen unterstützende Schnittstellen sowie generell die SAP Business Technology Platform (BTP) als Erweiterungsplattform zur Verfügung gestellt bekommen.
SAP will über die bestehenden Schnittstellen hinaus weitere unterschiedliche Möglichkeiten bieten, um Krankenhausinformationssysteme, die zukünftig die bisherigen IS-H-Funktionalitäten abbilden sollen, in das S/4-Core-System zu integrieren. Zu diesen Optionen gehören die Foundation Services, eine Anbindung über die FHIR-Schnittstelle – in der Cloud. Die bis dato in IS-H abgebildeten Funktionalitäten für Patientenadministration und -abrechnung sollen zukünftig durch moderne Krankenhausinformationssysteme verschiedener Hersteller abgedeckt werden. Inwiefern bzw. ob das klinische Informationssystem von Cerner (i.s.h.med) dies künftig ermöglichen wird, ist aktuell aber ungewiss. SAP will den Kunden mit dieser Strategie die Wahl ihres modularen Set-ups für die Patientenabrechnung und ihre klinischen Prozesse überlassen – ganz nach dem Christian-Klein-Motto: Wir lassen niemanden zurück.
Oracle Cerner stellt aktuell den Support für IS-H Reklamations-Monitor ein. Mit i.s.h.med werden die medizinischen Daten erfasst – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung. „IS-H ist sehr eng mit dem von vielen Häusern verwendeten Krankenhausinformationssystem i.s.h.med von Oracle Cerner verknüpft. Dieses Produkt wird zur Gänze auf dem abgekündigten SAP ECC 6.0 betrieben“, erläutert Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen und Public Sector.
Und sein DSAG-Kollege Michael Pfeil, Arbeitskreissprecher Healthcare und hauptberuflich Abteilungsleiter Betriebswirtschaftliche Applikationen im Universitätsklinikum Bonn, ergänzt: „Oracle Cerner wird den Support für das KIS ebenso einstellen.“ Zwar hat Oracle Cerner angekündigt, eine Nachfolgelösung für i.s.h.med auf den Markt zu bringen. Aber wann diese Lösung einen vollständigen Ersatz der i.s.h.med- Funktionen bieten kann, ist derzeit noch unklar. „Als wäre diese Situation nicht schon schwierig genug, hat nun Oracle Cerner angekündigt, die Betreuungsverträge für das Lösungspaket IS-H Reklamations-Monitor nicht erneut zu verlängern“, so Michael Pfeil. Die Folge: Mit dem Auslaufen des Betreuungsvertrages entfällt der Anspruch auf Korrekturen und Erweiterungen zu diesem Lösungspaket. Dies gilt auch für neue gesetzliche Anforderungen. Als Nachfolger wird die Lösung eines Partnerunternehmens empfohlen. „Das ist untragbar. Das im IS-H integrierte RKT mit Rückkopplung ins Rechnungswesen für das Reporting offener Rechnungen und sich daraus ergebender Streitwerte ist aus der Abrechnung vieler Krankenhäuser und Kliniken nicht mehr wegzudenken.“