SAP: Technik versus Betriebswirtschaft
Die Liebe zur Technik kann SAP seit einigen Jahren nicht abgesprochen werden. Mit viel Enthusiasmus verschrieb sich der ERP-Konzern der Entwicklung einer In-memory-Computing-Datenbank. Naturgemäß ging die Initiative von SAP-Übervater Professor Hasso Plattner aus, der an seinem Universitätsinstitut in Potsdam dazu auch alle Ressourcen hatte. Und SAP nahm diesen Datenbank-Kick-off gerne auf. So entstand Hana.
SQL-Datenbank Hana
Aus Sicht der SAP ist die SQL-Datenbank Hana naturgemäß mehr als ein Mitbewerber zu Oracle, IBM und Microsoft. Hana soll eine DB-Plattform sein, die Funktionen zur Verfügung stellt, die weit über eine relationale Datenbank hinausgehen. Dieser Ansatz mag von Beginn an im Kopfe von Hasso Plattner vorhanden gewesen sein, aber der Anspruch, mehr zu sein als eine SQL-Maschine, kristallisiert sich erst spät, vielleicht zu spät heraus.
Bereits in frühen Jahren verfügte Hana neben der SQL-Engine auch über die Möglichkeit zum Graph Computing. Die Graphentheorie ist ein Zweig der Informatik. Graphen können Beziehungen zwischen Objekten wiedergeben und sind relativ leicht handhabbar durch Matrizenrechnungen. Wirklich populär wurde die Hana-Graph-Engine nicht, auch sind kaum praktische Anwendungen bekannt.
Nun überraschte SAP-Technikvorstand Jürgen Müller mit einer Hana-Vektor-Engine, die kommende Large-Language-Modelle (LLM) in der generativen KI unterstützen und kontrollieren soll. Graphen und Vektoren sind zwei ganz unterschiedliche Denkansätze. Sie lassen sich wahrscheinlich aber auf einer Datenbankplattform wie Hana orchestrieren.
Vektoren spannen einen Raum auf und sind meist mehrdimensional. Was der normalen räumlichen Vorstellung zwangsläufig widerspricht, sind Vektoren höherer Dimension, auch einmal über einhundert. Für den Menschen ist meistens bei der dritten Dimension Ende der Fahnenstange, vielleicht noch die Zeit als vierte Dimension. Aber mit Vektoren im mehrdimensionalen Raum lässt sich sehr leicht und gut rechnen, um etwa Ähnlichkeiten zwischen Objekten zu finden.
Technische Innovationen und SAP
Viel Mathematik und Informatik mögen vielleicht für Professor Hasso Plattner und seinen ehemaligen Doktoranden Jürgen Müller faszinierend sein. Noch hält sich der Mehrwert für die Mehrzahl der SAP-Bestandskunden aber in Grenzen. Und damit gilt es die Frage zu stellen, ob SAP wirklich ihre Bestimmung in technischen Innovationen finden sollte oder doch lieber dem Sprichwort „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ folgen und die betriebswirtschaftlichen Innovationen voranbringen sollte.
Bei aller Wertschätzung dem SAP-Technikvorstand Jürgen Müller gegenüber muss dennoch gesagt werden, dass es andere besser können! Vergangenes Jahr präsentierte Jürgen Müller in Bangalore, Indien, auf der SAP TechEd 2023 einen Co-Pilot für die Erstellung von Software auf der SAP Business Technology Platform (BTP). Auf Nachfrage erklärte Müller, dass der Co-Pilot JavaScript beherrschen würde, was auch in einem SAP-ERP-Umfeld mitunter hilfreich sein kann.
Nochmals nachgefragt, was denn nun mit der SAP-eigenen Programmiersprache Abap wäre, musste Jürgen Müller eingestehen, dass der Co-Pilot noch beim Erlernen ist. Auch ein halbes Jahr später scheint es bei SAP noch keine Fortschritte hinsichtlich Abap-Co-Pilot zu geben. Am Rande einer BTP-Konferenz wurde aber bekannt, dass in den Microsoft-Labors bereits ein experimenteller Abap-Co-Pilot existiert. Keine sehr überraschende Entwicklung! Microsoft ist einer der Hauptsponsoren von OpenAI, den Betreibern von ChatGPT, damit einer der Weltmarktführer für generative KI, wozu auch Co-Pilots im weitesten Sinn zu zählen sind.
Schuster, bleib bei deinem Leisten
Wenn nun Microsoft tatsächlich einen Abap-Co-Pilot besitzt, sehe ich darin keinen Nachteil für SAP und die SAP-Community – vielleicht eine persönliche Niederlage für SAP-Technikvorstand Jürgen Müller. Warum? SAP muss keine Tech Company sein, um weltweit Erfolge einzufahren. Das betriebswirtschaftliche Wissen aus 50 Jahren ERP-Entwicklung ist einzigartig. Die Probleme der Welt bei Logistik, Finanzwesen, Controlling und Supply Chain Planning sind gewaltig. Hier hat SAP alle Möglichkeiten für ein nachhaltiges Alleinstellungsmerkmal. Warum also Cloud Computing, In-memory Computing, Co-Pilot und generative KI?
Schuster, bleib bei deinem Leisten, will ich SAP zurufen. In den Bereichen der unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Aufbau- und Ablauforganisation gibt es genügend Herausforderungen für SAP. Wo ist der betriebswirtschaftliche und organisatorische Mehrwert von Cloud ALM, Signavio und LeanIX? SAP könnte auf einem guten Weg sein, wenn SAP-Chef Christian Klein mehr über Enterprise-Architekten, Process Mining und Composable ERP, aber weniger über Cloud Computing und KI reden würde.
1 Kommentar
Dieter Richter
Microsoft berichtet schon letztes Jahr öffentlich über den internen Einsatz des Abap-Co-Piloten:
https://youtu.be/nixkfXt1nEs?si=yh8A8GjN84nOaz2Y
Von SAP Joule sieht man immer noch nur Videos und das erste SAP Joule Release scheint ein Conversational Search Anwendungsfall auf Basis des SAP Help Portal zu werden.
Ähnliche Anwendungsfälle haben viele deutsche Unternehmen schon lange selbst und innerhalb weniger Monate implementiert:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kuenstliche-intelligenz-otto-dm-chatgpt-mitarbeiter-gruende-1.6309361
Hat sich dafür die lange Wartezeit gelohnt und wie viele Jahre hinkt SAP Joule nun dem Co-Piloten Markt hinterher?