Innovation versus Geheimhaltung
Naturgemäß besitzt auch SAP einen Forschungsetat und kluge Köpfe, die über die Zukunft von ERP nachdenken. Was aber bei SAP in den IT-Labors geschieht, darüber schweigt sich der Konzern aus. Eine doppelt desaströse Entwicklung: Ohne Nachrichten über zukünftige Produkte verliert der ERP-Weltmarktführer an Faszination und Sichtbarkeit. Weil aber SAP keine Geheimnisse preisgibt, fehlt es auch an einem Diskurs über zukünftige ERP-Trends. Einfach gesagt: SAP-Community und SAP selbst schweigen sich gegenseitig an und treten auf der Stelle.
Boshafte oder wissende Stimmen der SAP-Community meinen, dass SAP zwar viele Entwicklungsabteilungen, aber keine Forschungsstelle hat. Es gibt somit viele Anträge für Produktadaptierungen und -verbesserungen, aber keine Stelle für verrückte Experimente und ergebnisoffene Versuche. Die Weiterentwicklung bestehender Produkte ist bei SAP konsequent geplant: Für die Mitglieder der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG e. V.) gibt es einen definierten Workflow, um Mängel und neue Funktionen bei und für existierende Produkte einzureichen. In der Regel werden diese Entwicklungsanträge zuvor in den DSAG-Gremien diskutiert und geprüft und dann an SAP weitergereicht. Dieses Verfahren ist zwischen DSAG und SAP gut eingespielt.
Außerhalb der DSAG-SAP-Welt ist es schwierig, auf die ERP-Produktentwicklung Einfluss zu nehmen. Viele Bestandskunden und Partner versuchen es mit Eigenentwicklungen auf Basis von SAP-Abap. Hier werden sich in den kommenden Jahren mit CAP (SAP Cloud Application Programming), RAP (RESTful Application Programming) und Steampunk (inklusive Embedded Abap) neue Möglichkeiten eröffnen. Das E3-Magazin veranstaltet dazu den Steampunk und BTP Summit am 5. und 6. März 2025 in Heidelberg. Rund um Business Technology Platform (SAP BTP) könnte ein neues Ecosystem für ERP-Modifikationen entstehen, sodass Anwender die ERP-Innovation selbst in die Hand nehmen.
ERP-Add-ons und ERP-Modifikationen will SAP nicht aus der Hand geben. Ein umfangreiches Partnerprogramm soll zukünftig eine Plattform für Modifikationen und Erweiterungen werden, die gleichzeitig Verkaufsfläche und Kontrollinstrument sein könnte. Wie weit die SAP-Partner bei den eigenen Innovationen bereit sind, die Erkenntnisse mit SAP zu teilen, ist noch ungewiss. Weil SAP selbst wenig kommunikativ ist, könnte sich schon bald eine Pattsituation ergeben.
Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass andere Industrien mit dem Thema Innovationen und Neuerungen offener und kommunikativer umgehen. So hat Lotus unlängst eine Autostudie vorgestellt und gleichzeitig verlautbart, dass es diesen Sportwagen in dieser Konfiguration definitiv nie geben wird. Er ist als Ideenschmiede, Anschauungsobjekt und Hilfe zum Diskurs über mögliche Mobilitätsformen gedacht. In der SAP-Community ist kein ERP-Modell jenseits von S/4 bekannt, über das sich Partner und Bestandskunden austauschen könnten. Die Plattform für einen ERP-Zukunftsdiskurs fehlt.
Am Beispiel Lotus-Sportwagen wird deutlich, wie wichtig der breite Diskurs mit der Öffentlichkeit sein kann. Geheimhaltung erscheint kontraproduktiv, denn viele Anregungen und weiterführende Ideen aus einer Community gehen verloren.