Basisarbeit
Der deutsche Kohleausstieg ist eine visionäre Sache. Selten zuvor wurde für den „Umweltschutz“ ähnlich viel Geld in die Hand genommen. Viele der Akteure klopfen sich selbst auf die Schulter und gratulieren sich gegenseitig für das innovative Konzept, das Industrie und Umweltschutz versöhnen soll.
Aber schon gibt es die ersten Kollateralschäden, weil man zu sehr mit Visionen und Buzzwords beschäftigt war. Die Basisarbeit wurde vernachlässigt. Die Simulation eines dynamischen Systems hat nie stattgefunden.
Weil der Tagebau von Braunkohle eingestellt wird, gibt es zukünftig auch keine Kohlebriketts mehr, die sehr energieeffizient und relativ wenig umweltbelastend sind. Im Zuge des Kohleausstiegs schließt der RWE-Konzern eine Brikettfabrik Ende 2022, weil der Rohstoff ausgeht: „Ursache ist der Stopp des Tagebaus Hambach“, heißt es beim Energiekonzern. Die nachgelagerten Industriebetriebe müssen umgehend neue Energiekonzepte entwickeln, wenn die Briketts fehlen – oder wie die Brikettfabrik selbst zusperren. Es ist eine komplexe Geschichte, nachzulesen online im Handelsblatt unter „Der Kohleausstieg verursacht erste Kollateralschäden“.
Kurzfristiges Denken, schnelle Tweets und locker präsentierte Visionen findet man momentan in der Politik und Wirtschaft. Es scheint, dass sich kaum jemand mehr die Mühe einer seriösen, faktenbasierten und begründungsorientierten Entscheidung und Strategie macht. Auf der einen Seite lässt SAP das Innovationskonzept „Leonardo“ sterben, auf der anderen Seite spricht man überall im Konzern vom „intelligenten“ Enterprise.
SAP spricht im Rahmen einer digitalen Transformation von neuen Verkaufschancen, besseren und transparenteren Kundenbeziehungen, optimalem Service und Nachbetreuung, aber vom zwei Jahre alten Customer-Relationship-Managementkonzept C/4 hört der überraschte SAP-Bestandskunde nichts mehr. Ist nun neben Leonardo auch Hybris, also C/4, tot?
Twitter, Youtube, Facebook können wichtige Instrumente sein, aber ohne Basisarbeit verkommt jeder Kommunikationskanal zu „viel Lärm um nichts“. Buzzwords wie das „intelligente Enterprise“ sind kontraproduktiv ohne Basisarbeit. Ein paar bunte Powerpoint-Bilder und einjährige Roadmaps sind kein Beweis für ein hoffentlich vorhandenes ERP-Konzept. Die SAP’sche Wartungsverlängerung von Suite 7 (inklusive AnyDB?) und die Zusage der Verfügbarkeit von S/4 sind wichtig und richtig – aber ersetzen nicht die notwendige Planungsarbeit.
Obwohl der SAP-Bestandskunde weiß, dass im Fall des Falles seine Suite 7 mit AnyDB, Abap und Java bis 2030 funktionieren könnte, muss er dennoch seine planerische Basisarbeit machen, seine jährlichen IT-Budgets der Geschäftsleitung vorlegen und den operativen ERP-Betrieb absichern. Wichtige, lebensnotwendige Aufgaben, zu deren Bewältigung die stattgefundene Sapphire nur wenig beigetragen hat.
C/4 wurde schon erwähnt und ist leider kein Einzelfall. Wer eigene Basisarbeit in das Thema „SAP Data Hub“ investiert hat, wird umdenken müssen: Das Konzept besteht überwiegend aus Buzzwords und White Papers. Offensichtlich wurde nie eine Simulation dieser dynamischen „Datenschleuder“ durchgeführt, denn schon die einfachsten Berechnungen eines Mengengerüsts hätten gezeigt, dass das Konzept in der Praxis nicht funktioniert. Ein dynamisches Auskunftssystem erzeugt eben eine andere Computerlast als ein simpler Copy-Befehl. Das Ansinnen, in Zukunft keine Datendubletten mehr zu produzieren, war naturgemäß anspruchsvoll und ehrenwert.
„Zurück zum Ursprung“ sollte auch in der IT gelten und nicht nur höchst erfolgreich von Biobauern verwendet werden. Zurück zum Ursprung und Basisarbeit leisten, bevor man den nächsten Tweet rausschickt, die nächste Sapphire-Keynote probt oder das nächste Buzzword auf die SAP-Bestandskunden loslässt.
Es ist nicht so, dass SAP diese notwendige Basisarbeit nicht könnte. Es gibt genug hoch qualifizierte SAP-Mitarbeiter, die auch die Simulation dynamischer Systeme beherrschen und verifizieren, bevor sie an die SAP-Bestandskunden mit neuen Ideen, Konzepten und Produkten herantreten. In jedem Fall scheint Basisarbeit demnächst wieder sehr gefragt zu sein.