Christian Klein 2021
Es kann nicht oft genug betont werden: Das Interview von Christian Klein für die amerikanische SAP User Group, ASUG, war fantastisch und skurril zu gleich. Klein war in seiner agilen, jugendlichen und direkten Art wesentlich offener und selbstkritischer – damit auch konstruktiver als der betagte und konservative Fragesteller. Statt die Chance eines einzigartigen Interviews zu ergreifen, wurden nur sorgsam vorbereitete Fragen gestellt. Christian Klein ließ sich nicht beirren. Er ergriff die Initiative und machte aus dem ASUG-Interview eine Ansage, die jeden Bestandskunden glücklich macht.
Meine Kollegin Simone Sailer beobachtete den Livestream und nannte ihre schriftliche Aufzeichnung: Eine ehrliche Konversation mit SAP CEO Christian Klein.
Für 2021 erwartet Klein, dass etwa 80 Prozent der S/4-On-prem-Funktionen auch in der Cloud zur Verfügung stehen.
„Es gibt noch eine Lösung, die nicht ganz in der Cloud liegt – unsere ERP-Lösung, S/4 Hana“, erklärte Klein.
„Nicht jeder Kunde ist gleich. Nicht jeder Kunde möchte sein ERP in die Cloud verlagern. Einige haben bereits standardisierte Prozesse oder weniger fragmentierte IT-Landschaften, diese Kunden haben tatsächlich einen schnellen Cloud-Roll-out. Es gibt natürlich auch andere Kunden und es ist unrealistisch zu erwarten, dass diese sofort und vollständig in die Public Cloud migrieren. Hier können wir helfen, ihre Prozesse umzustellen.“ Somit wird sich 2021 der Diskurs „On-prem versus Cloud“ fortsetzen.
„Das ist die Realität unserer Kunden, und wir wollen unseren Kunden die Wahl lassen“, betonte Christian Klein.
„Es gibt Kunden, die On-premises bleiben wollen, und sie können auch bleiben!“
Der SAP-Chef nannte auch die Zahl 3000 für S/4-Anwender, die als ERP-Bestandskunden in die Cloud wechselten. Naturgemäß war dieses Interview nicht frei von Marketingbotschaften: „S/4 Hana hat eine schnellere Migrationskurve erlebt als jede andere unserer ERP-Lösungen.“
Mangels detaillierten Zahlenmaterials lässt sich diese SAP-Aussage nur schwer überprüfen. Die SAP-ERP-Version S/4 Hana wurde am 3. Februar 2015 an der New Yorker Börse präsentiert. Mehr als fünf Jahre später haben etwa 15.100 SAP-Kunden eine S/4-Hana-Lizenz erworben, davon aber nur 8100 Kunden ein lauffähiges und produktives S/4-System. Dieses „Momentum“ soll eine schnelle Migrationskurve darstellen?
Neben der mannigfaltigen Interpretation von Anwenderzahlen setzt Klein jedoch eine unmissverständliche Botschaft: Aus „Cloud first“ wird „Customer first“. Damit betonte er:
„Wir lassen unsere Kunden nicht zurück – wir bedienen hybride Szenarien von Anfang bis Ende […] Die Veränderung unserer Kunden ist der Schlüssel für uns – wir investieren in ihren Erfolg und beschleunigen unsere Roadmaps. Es dreht sich alles um Innovation und Integration […] Ich möchte eine SAP mit Einfühlungsvermögen sehen. Ein Unternehmen, das die letzte Meile mitgeht, nicht am letzten Verkaufspunkt stehen bleibt. Wenn es ein Problem gibt, möchte ich darüber sprechen: Was können wir tun, um zu helfen? […] Ich schätze das Feedback unserer Kunden und unserer Anwendergruppen wirklich sehr – es ist nicht immer nur Gutes dabei. Ich betrachte es aber als ein Geschenk.“
Eine herausfordernde Frage stellt der ASUG-Interviewer dann doch: Wie richtet SAP ihre Produkte an den Hyperscalern aus?
„Für mich ist es wirklich wichtig, dass die SAP-Plattform agnostisch bleibt“, antwortet Christian Klein.
„Wir sehen, dass viele Kunden auch Multi-Cloud-Umgebungen betreiben, und dem wollen wir nicht im Weg stehen. Wir verwenden die technischen Funktionen von Hyperscalern, die wir bei SAP nicht anbieten, um die Benutzererfahrung unserer Kunden zu verbessern.“
Offensichtlich ist sich der SAP-Chef bewusst, dass aufgrund der technischen Entwicklung Bestandskunden verloren gehen könnten. Die Analysten von Cloudflight prognostizieren unabhängig von SAP für kommendes Jahr:
„Durch Branchenführer wie Otto oder Lidl wurde der Trend in den vergangenen Jahren bereits begonnen, den man traditionell aus der Finanzbranche kennt. Kommendes Jahr hinterfragen immer mehr Unternehmen die Kosten der Einführung und Wartung von ERP-Softwarepaketen und entwerfen alternative Business-Software auf Basis von Open-Source-Plattformen oder Plattform-as-a-Service-Diensten der Hyperscaler.“
Zu ergänzen ist diese Aussage noch durch die Anwendung von No-Code/Low-Code-Plattformen, die ebenfalls ein Befreiungsschlag und Autonomiegewinn für ERP-Anwender werden können.
„Was wir besser machen können“, fragte sich Christian Klein im ASUG-Interview selbst und gab die Antwort:
„Die größte Herausforderung bei der Transformation unserer Kunden ist nicht die Technologie, sondern die Neugestaltung der Prozesse. Hier wollen wir bessere Arbeit leisten. Wir werden uns auf die Dienstleistungsseite konzentrieren – es gibt bereits viele SAP-Dienstleistungen, aber wir können es noch besser machen […] Wenn wir unseren Kunden zuhören, geht es nicht nur darum, unsere Roadmaps an ihren Bedürfnissen auszurichten, sondern auch darum, langfristige Beziehungen aufzubauen. Dies ist die Zeit, in der SAP zeigen kann, dass wir ein Herz haben und dass wir keine Kunden zurücklassen werden.“
Christian Klein will mit Empathie den Weg gemeinsam gehen und hat offensichtlich das Ziel, ein „Solution Architect“ für seine Kunden zu werden – eine wesentlich bessere Idee als ein Trusted Advisor, was sein Vorgänger, Bill McDermott, zeitweise sein wollte.