Früher war alles schlechter
Die SAP-Historie teilt sich in vier Phasen: die Gründungsphase mit Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Claus Wellenreuther, Klaus Tschira und Hans-Werner Hector; die erste Generation nach den Eigentümern und Gründern mit Professor Henning Kagermann; die wachsende Umsatz- und Verkaufsphase mit Léo Apotheker, Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott; sowie die aktuelle Konsolidierungsphase mit Christian Klein.
Nichts von alledem war schlecht. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen und Parameter. Aus aktueller Perspektive hätte man wahrscheinlich manche Cloud-Zukäufe anders abgewickelt. Im Nachhinein sind Mann und Frau immer klüger, das hat auch Professor Hasso Plattner über die McDermott-Ära gesagt. Wichtig sind das Hier, Heute und Morgen. Der junge SAP-Chef Christian Klein ist ein Kind seiner Zeit und macht mit jugendlichem Elan und Chuzpe alles richtig. Dennoch stürzte die SAP-Aktie ins Bodenlose und Klein bekam seine ersten Ohrfeigen von den Analysten. Warum?
Léo Apotheker und Bill McDermott waren aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Auftretens nicht nur fantastische Verkäufer, sondern auch die Lieblinge der Finanzmärkte. Beide versuchten, noch den letzten Euro aus der SAP-Community zu pressen, und beflügelten damit die SAP-Dividende und den Aktienkurs.
Die Dummen waren die SAP-Bestandskunden. Die Leidtragenden waren die SAP-Mitarbeiter, allen voran die strebsamen Entwickler und Ingenieure. Früher war also alles anders und es war gut so.
Im SAP-Aufsichtsrat hörten Hasso Plattner und Gerd Oswald vor etwa zwei Jahren, dass es nicht mehr gut ist: Die SAP-Bestandskunden sind unzufrieden und erstmals in der SAP-Historie ergibt sich die Möglichkeit, das ERP-System zu wechseln. Der Releasewechsel auf Hana und S/4 mag sinnvoll erscheinen, er kostet aber genauso viel wie ein ERP-Systemwechsel. Warum nicht ein neues ERP-System mit toleranten und niedrigeren Lizenz- und Supportkosten ausprobieren?
Es bestand die Gefahr, dass SAP bis 2025 sehr viele Bestandskunden verlieren könnte. Die Ergebnisse der Abwehrschlacht sind bekannt: Suite-7-Wartungsverlängerung bis 2027/2030 und der neue SAP-Chef heißt Christian Klein.
Früher war alles besser – zumindest der SAP-Aktienkurs. Der Fall ins Bodenlose – vom diesjährigen Höchststand bei etwa 140 Euro auf etwa 92 Euro – ist nicht Christian Kleins und CFO Luka Mucics Schuld, sondern lediglich Ausdruck des Unvermögens vieler Anleger und Analysten, genau hinzuhören.
Natürlich sind Klein und Mucic die Überbringer der schlechten Nachricht, als am Tag der Präsentation der Q3-Zahlen der Aktienkurs implodierte – aber beide hatten an diesem Tag kein anderes Narrativ als schon zu Beginn der Amtszeit von Christian Klein vor fast einem Jahr: SAP orientiert sich zukünftig an den Bedürfnissen der Bestandskunden und wiederbelebt die erfolgreichen Wertparameter aus der Zeit von Hopp, Plattner und Kagermann. Dass dieser Paradigmenwechsel Geld kostet, erscheint logisch. Diese Logik haben viele Anleger und Analysten jedoch übersehen und wurden anlässlich der Q3-Präsentation auf dem falschen Fuß erwischt.
Nachbemerkung: Selbst für Insider wie Hasso Plattner, Christian Klein und Luka Mucic war die Situation unwirklich. Sie nutzten die Chance und deckten sich bei einem Kurs von etwa 100 Euro mit weiteren SAP-Aktien ein, aber den Boden fand der Kurs erst bei etwa 92 Euro – offensichtlich völlig irreal für alle Beteiligten.