SAP hat zwanzig Jahre lang mit betriebswirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Innovationen die IT revolutioniert – zu Beginn von SAP nannte man die IT noch DV/Org. An dieser Stelle muss der Vorgänger des E-3 No/Names erwähnt werden. Jahrzehntelang schrieb Sebastian Trauerwein als DV/Org-Leiter und später als Information Resources Manager in der deutschen Computerwoche über IT und gegen IBM und SAP. Was beweist, dass SAP immer schon eine Herausforderung für Anwender, Analysten und Journalisten war.
Das Fundament des ERP-Konzerns entstand durch zahlreiche IT-Innovationen, die damals ein Alleinstellungsmerkmal waren. Die Ausrichtung auf Software in einer Zeit, als IBM noch Milliardenumsätze mit Hardware machte, war auch der Grund, warum die fünf ehemaligen IBM-Manager ihrem Arbeitgeber kündigten und SAP gründeten. Der Single Point of Truth als zentraler Datenbankserver in einem dreistufigen Client/Server-Modell war revolutionär, die vielen betriebswirtschaftlichen Algorithmen einzigartig.
Aktuell bemüht sich SAP, mit beliebigen Allerweltsprodukten aus dem IT-Bauchladen seine Umsätze zu erzielen. SAP ist auf dem Weg zu Austauschbarkeit. Spätestens 2030 wird SAP kein einziges Produkt mehr besitzen, das ein Alleinstellungsmerkmal besitzt! Dann werden die SAP-Bestandskunden die ERP-Angebote wechseln können, wie heute schon PCs, Tablets und Smartphones beliebig ausgewechselt werden.
Auch das Hana-Lock-in verliert bis 2030 seine Gültigkeit. Noch immer wird S/4 nur auf „Hana“ zum Laufen kommen, aber Open Source, neues Silicon (siehe auch M1-Prozessor von Apple) und Simulationsprogramme werden zahlreiche Hana-Clones hervorbringen, die wesentlich preiswerter als das Original sein werden – und wahrscheinlich auch schneller und ressourcenschonender.
Gute Nachrichten für die SAP-Community: eine offene und preiswerte Hard- und Software-Infrastruktur, Hana-kompatible Datenbanken, zahlreiche ERP-Module von SAP, Partnern und Drittherstellern.
Aber SAP wird seine Preise dem allgemeinen Marktniveau anpassen müssen. SAP wird nicht mehr bestimmend in den ERP-Rechenzentren sein. Der Marktwert von SAP wird so weit sinken, dass eine Übernahme durch Google, Microsoft oder AWS wahrscheinlich wird – und das Kartellamt wird nichts dagegen einwenden, weil die Bedeutung von SAP dann nur noch ein Bruchteil der aktuellen Vormachtstellung ist.
Und die SAP-Community? Weil Algorithmen und Datenstrukturen transparenter und preiswerter werden, wird die Community für Geschäftsprozesse und Organisation (siehe oben: DV/Org) exponentiell wachsen. Die Herausforderungen werden in Zukunft nicht weniger, womit das betriebswirtschaftliche Standardwissen der SAP-Algorithmen inklusive Z-Namensraum nicht nur überlebenswichtig sein wird, sondern sich dynamisch weiterentwickeln wird.
Das Narrativ von SAP-Chef Christian Klein ist naturgemäß ein anderes! Aber seine Botschaft verfängt sich nicht mehr in den Plänen der Investoren und Konzepten der Bestandskunden. Anlässlich der Präsentation der Zahlen zum zweiten Quartal sprach SAP-Chef Christian Klein von einem „fantastischen Quartal“ – und ordentlichen Zahlen in Sichtweite für Ende dieses Jahres. Er und SAP-Finanzvorstand Luka Mucic zeigten mit den aktuellen Cloud-Diensten sowie einer leichten Anhebung der Prognose einen gewissen Optimismus. Der verhaltene Aktienkurs widerspiegelt diesen Optimismus jedoch nicht. Die Zustimmung der Community ist vorhanden, aber viele SAP-Bestandskunden erwarten sich mehr von SAP.
Christian Klein und der gesamte SAP-Vorstand haben keine vorzeigbare Strategie, die über 2023 hinausgeht. Es gibt kein Narrativ, das die ERP-Welt jenseits von 2025 erklärt und skizziert, was mit S/4 nach 2030 passiert. Wer in den kommenden fünf Jahren auf S/4 migriert, der will auch wissen, wie das SAP’sche ERP-System in zehn Jahren aussieht. Die Bestandskunden brauchen Planungssicherheit und bekommen als Antwort: Intelligent Enterprise. „Schön“ und „intelligent“ sind wir ohnehin! Mit dem beliebigen Versprechen eines intelligenten Enterprise-ERP erhöht Christian Klein den Diskussionsbedarf, statt konkrete Antworten zu liefern. Es braucht viel Mut für einen S/4-Releasewechsel. Auf dem kommenden DSAG-Onlinekongress will Christian Klein erklären, was das Intelligente am Intelligent Enterprise werden könnte und wo in Zukunft die Alleinstellungsmerkmale von SAP zu finden sind.
Bleibt die Frage nach der Notwendigkeit des radikalen Wandels und den Vor- und Nachteilen. Für SAP werden die kommenden Jahre eine Herausforderung darstellen in der Transformation vieler Alleinstellungsmerkmale der Vergangenheit hin zu standardisierten und damit austauschbaren Produkten. Inspiration kann sich SAP bei Microsoft holen, das einstige Windows- und Office-Unternehmen ist nun eine Cloud Company inklusive Open Source.
SAP sollte andere erfolgreiche IT-Unternehmen nicht kopieren, sondern einen eigenen Weg finden, der auch einen radikalen Wandel einschließen kann.