Diversität als Herausforderung für Führungskräfte
Eine Führungskraft bemerkte mir gegenüber neulich: „Jetzt sind meine Mitarbeiter schon jünger als meine Kinder. Muss mir das zu denken geben?“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass es ihm durchaus ernst war mit der Frage. Ja, es sollte ihm zu denken geben, aber nicht etwa, weil er langsam zu alt ist – die Zeiten, als Ü50-Jährige höflich in den Vorruhestand komplimentiert wurden, sind längst vorbei. Es braucht heute alle, die Alten und die Jungen, und noch etliche mehr.
Diversität ist keine Managementmode mehr (falls sie das je war), sondern Alltag in zahllosen Konzernen, Mittelstandsbetrieben und Kleinstagenturen. Boomer gehen in Rente, erhalten aber nicht selten Anschlussverträge, weil Fachkräfte fehlen; die Azubis sind Teenager; die Bachelorabsolventen gerade mal Tweens. Fusionen wie Firmenaufspaltungen nehmen zu. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist allgegenwärtig und nötiger denn je.
Ja, es sollte Führungskräften zu denken geben, wie sie diese wachsende Diversität – in Alter, Nationalität, Sprache, Geschlecht, Profession und so weiter – angemessen moderieren, kultivieren und etablieren können. Nicht nur in ihren Linienabteilungen, auch bei ihren Stakeholdern, in ihren Projekten, in den Business Units und Entitäten, für die sie verantwortlich sind.
Bisweilen erklingen ja hübsche Diversity-Lobeshymnen: Vielfalt mache Teams kreativer, ihre Perspektivenvielfalt sei ein Wettbewerbsvorteil, ihre Kooperationsfähigkeit ein Asset. Aber das hält einer Alltagsprobe nicht stand, und, nebenbei, es konnte auch in wissenschaftlichen Untersuchungen nicht signifikant nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Diversität erhöht die Komplexität, oft erhöht sie die Konflikte, nicht selten auch die Kosten.
Variantenreichtum, nicht nur in der Autobranche, gilt nicht umsonst als Renditekiller Nummer eins. Abhilfe schafft in den technischen Entwicklungen ein „Variantenmanagement“, das hinter der glänzenden Modellvielfalt ein Baukastensystem versteckt, das die immerselben Komponenten verbaut.
Dieser Ansatz ist nun aber im People Management nicht möglich und nicht wünschenswert. Weder technokratische Standardisierungsversuche noch Idealisierungen helfen weiter, sondern nur eine realistische Diversitätsstrategie, die der Dynamik der Situation angemessen ist.
Dazu ein kleiner Exkurs über ein erschwerendes Phänomen: die Ingroup-/ Outgroup-Dynamik. Moderne Arbeitswelten bieten immer weniger starke soziale Zugehörigkeiten an. Das hat paradoxe Auswirkungen gerade im Hinblick auf Diversität. Organisationale Flexibilisierung führt gerade nicht automatisch zu verstärkter Toleranz und Interesse an anderen und Andersartigen, sondern im Gegenteil. Die eigene (fragile) Zugehörigkeit wird aufgewertet durch das Abwerten von „den anderen“. Diese Abgrenzung der „Ingroup“ von der „Outgroup“ – und infolgedessen nicht selten auch die Ausgrenzung – dient der Kompensation der eigenen sozialen Unterversorgung. Was also tun als Führungskraft?
Grobe Fehler vermeiden
Wenn ein Team aus zwei in sich recht vertrauten, stabilen Untergruppen besteht
(z. B. aus Alt-Abteilung A und Alt-Abteilung B), ist die Sollbruchstelle vorprogrammiert. Hier sind „Dritte“ wichtig, die den Dualismus aufbrechen (z. B. Neueingestellte). Wenn in eine vertraute bestehende Gruppe exakt ein „Exot“ eingestellt wird – nicht selten eine Frau in das Männerteam –, dann ist das zu wenig. Eine Binnenkultur ändert sich nicht, nur weil ein neues Einzelelement hinzukommt.
Stattdessen wird der Exotenstatus zementiert, die neuen Impulse neutralisiert; nicht selten geht der/die Neue bald wieder. Falls Sie wirklich „Freaks“ einstellen wollen, um Ihren Betrieb ein wenig aufzumischen, dann stellen Sie eine ganze Bande ein und geben ihnen ein Terrain, auf dem sie sich erstmal fachlich austoben dürfen. Die Integration der Ideenschmiede bleibt dann immer noch eine harte Managementaufgabe, aber immerhin haben Sie nicht die Einzelleute verbrannt.
Leute einstellen, die kein offenes Mindset mitbringen, ist ein grober Fehler. Sie haben hoffentlich Diversity-Fähigkeit als Auswahlkriterium implementiert. Fachliche Brillanz ersetzt nie fehlende Sozialkompetenz. Letztere kostet immer mehr, als Erstere einbringt. Bei der Einstellung eines oder einer Externen in eine Topmanagementposition erst handeln, wenn sich Schwierigkeiten zeigen, ist nie ratsam.
Investieren Sie stattdessen gleich mit Vertragsabschluss in eine Onboarding-Beratung. Die hat eine der besten Kosten-Nutzen-Bilanzen, die es gibt. Der Neuanfang in einer Topfunktion, sei es von innen oder außen, stellt ein enorm wertvolles und unwiederbringliches Zeitfenster dar, das der oder die Neue nutzen muss. Eine zweite Gelegenheit gibt es nicht.
Aktive Sozialpflege
„Gehöre ich dazu?“, „Ist mein Beitrag wichtig?“ – diese Fragen sind essenziell für jedes Teammitglied, auf jeder Ebene. Ohne soziale Zugehörigkeit und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit gibt es keine stabil funktionierende Arbeitskonstellation, keinen Mehrwert, keine Performance.
Akzeptiert und wirksam werden in der Organisations-Diversity ist heute nicht mehr nur ein Thema der „anderen“, sondern „die anderen“ sind inzwischen alle: Diese Fragen stellt sich jede Leistungsträgerin, jeder Azubi und jeder Senior; so auch für die eingangs erwähnte Führungskraft: „Muss mir das zu denken geben?“ Ja. Denken hilft.
Nutzen Sie Ihre Meetings, Ihre Strategieklausuren, um in regelmäßigen Abständen von der Sachebene weg auf die Metaebene, die Sozialebene zu gehen und gemeinsames Nachdenken zu stimulieren: Wie arbeiten wir zusammen? Wo sabotieren wir unsere Zusammenarbeit? Das geht oft mit externer Moderation einfacher. Wesentlich ist, dass Sie diese Sozialebene laufend im Blick behalten und nicht erst, wenn Konflikte entstehen.