Gerettete Seilschaften
SAP geht es gut. Die Verwaltung in der SAP-Zentrale läuft gut geölt. Der Aktienkurs ist auf einem Allzeithoch und SAP-Chef Christian Klein versorgt die Finanzanalysten regelmäßig mit den zwei Buzzwords, die sie hören wollen: Cloud und KI. Zu Beginn des neuen Jahres wurden dann auch noch 8000 Mitarbeiter zur Kündigung vorgesehen. Die Zeichen stehen auf Effizienz, wieder einmal Reorganisation und weiteres Cloud-Wachstum.
Professor Hasso Plattner könnte in seinem letzten Dienstjahr als SAP-Aufsichtsratsvorsitzender zufrieden sein. Er übergibt an seinen neuen designierten Nachfolger Pekka Ala-Pietilä ein gut aufgestelltes und konsolidiertes Haus. CEO Christian Klein verwaltet dieses Haus gewissenhaft und bemüht. Es gibt in dem erfolgreichen SAP-Konstrukt nur einen Störfaktor: die Anwender und Kunden.
Cloud und KI
Die Probleme von SAP im ERP-Markt lassen sich mit zwei Buzzwords zusammenfassen: Cloud und KI. Es gibt SAP-Bestandskunden, die aufgrund eigener Wünsche und Vorgaben eine Cloud und KI brauchen, diese Anwender haben sich schon vor vielen Jahren für Outsourcer, Hoster und Hyperscaler entschieden. Cloud Computing und künstliche Intelligenz findet der ERP-Anbieter überall im IT-Markt. Das eigene SAP-System kann nachgelagert im eigenen Rechenzentrum bleiben oder wird mittels Lift und Shift in die Cloud gehoben.
Woher kommt aber der Cloud-Erfolg von SAP? Für Neukunden gibt es nur die Private oder Public Cloud. Für Bestandskunden sind viele Nachfolgeprodukte nur noch in der Cloud verfügbar, siehe den abgekündigten APO (Advanced Planner and Optimizer) und den Nachfolger IPB (Integrated Business Planning), der ausschließlich als Cloud-Anwendung verfügbar ist.
On-prem
SAP lässt den Kunden nicht die Wahl zwischen On-prem und Cloud. Der ERP-Monopolist interpretiert diese Zwangsmaßnahme als Wunsch der Bestandskunden, in die Cloud zu migrieren.
Wenn die Freiwilligkeit an ihre Grenzen stößt, dann hat SAP noch ein letztes, sehr überzeugendes Argument: Lizenz und Pflegegebühr. Eine neue Initiative macht aktuell den Umstieg von S/4-On-prem in ein SAP-Cloud-System sehr preiswert, sodass viele Bestandskunden nicht mehr auf die Betriebswirtschaft und Technik achten, sondern das Sonderangebot nahezu blind unterschreiben, um sich für wenige Jahre viele Gebühren und Lizenzkosten zu ersparen. Und SAP hat gewonnen: Aus der S/4-Cloud gibt es kein Entkommen! SAP wird die Cloud-Subskription erhöhen und damit die aktuell entgangenen Einnahmen kompensieren.
Anwendern, die der SAP-Strategie in Richtung S/4 bereits gefolgt sind und funktionierende On-prem-Systeme besitzen, will SAP mit dem Programm Rise Migration and Modernization entgegenkommen. Im Rahmen des Jahreskongresses 2023 hatte die DSAG von SAP gefordert, On-prem-Bestandskunden nicht im Regen stehen zu lassen. SAP hat verschiedene Ressourcen, Services und finanzielle Anreize vorgestellt, die Kunden überzeugen sollen, auf die Cloud umzustellen.
Kommendes Jahr wird S/4 zehn Jahre alt und noch immer arbeitet ein Großteil der Bestandskunden auf der Vorgängerversion ECC; S/4 war nie für die Cloud konzipiert, somit gibt es kein technisches Argument, um mit S/4 in die Cloud zu gehen; ausschließlich ein finanzieller Vorteil könnte die Bestandskunden für das SAP’sche Cloud Computing begeistern. Das Programm Rise with SAP Migration and Modernization soll Unterstützung bei zwei grundlegenden Problemen bieten: Umfang und Kosten. Die Bestandskunden brauchen jedoch kein Reparaturdienstprogramm, sondern eine Runderneuerung.
Corporate-Governance
Punit Renjen, vor einem Jahr in den SAP-Aufsichtsrat gewählt und damals als Plattner-Nachfolger designiert, hätte als aktivistischer Aufsichtsratsvorsitzender dem Gesetz „Never Change a Running System“ widersprochen und eine neue SAP erschaffen. Diese SAP wäre auf die eigenen Bestandskunden fokussiert gewesen. Kein Stein wäre auf dem anderen geblieben. Eine Reorganisation nie gekannten Ausmaßes hätte stattgefunden.
Letztendlich fanden aber die Gefährdeten und Bedrohten bei SAP in Professor Hasso Plattner einen Verbündeten. Punit Renjen wird diesen Mai aus dem SAP-Aufsichtsrat ausscheiden und somit nicht Plattner-Nachfolger sein. Sein vermutlicher Nachfolger ist ohne Bedeutung. Laut Aufsichtsratsplan soll er nur für zwei Jahre gewählt werden. Er war zuvor schon fast 20 Jahre Mitglied des Aufsichtsrats. Er kennt alle Seilschaften und Befindlichkeiten. Er wird niemanden stören oder irritieren.
Alle sind gerettet. Professor Christian Strenger ist Direktor des Corporate-Governance-Instituts der Frankfurt School und meinte im deutschen Handelsblatt sinngemäß: Nun ist SAP nicht unbedingt ein Vorzeigeunternehmen in puncto Corporate Governance.
1 Kommentar
joachim Schirra
Lieber Herr Färbinger,
ich liebe Ihre klare, unmissverständliche Art und Formulierung, wenn es um SAP als Unternehmen bzw. um fachliche SAP Themen geht. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen, deutlich Tacheles geredet, Missstände aufgedeckt und benannt und sehr klare Kante gezeigt. Sie legen mit Ihrem Magazin den Finger in die Wunde, genau da, wo es SAP und auch den Kunden am meisten weh tut. Beschönigung ist Ihre Sache nicht.
Ich bin mir sicher, dass das nicht jedem in Walldorf gefällt. Aber es scheint Sie nicht zu stören, oder Sie davon abzuhalten – und das ist auch gut so. Es braucht die unbequeme Reißzwecke im etwas fülliger gewordenen, manchmal doch etwas sehr trägen Hintern der SAP, die zwickt und manchmal auch ordentlich weh tut. Nur so besteht die Hoffnung, dass der ein oder andere sehr sinnvolle Anstoß und Kritikpunkt von einem High Potential in Walldorf, der sich gerade warm läuft aufgenommen und – vielleicht(?) – verfolgt wird. Die DSAG hat sich meines Erachtens von diesem notwendigen Ansinnen leider längst entfernt.
Weiter so – und wenn Sie hoffentlich bald auch mal Data Warehouse (SAP Datasphere) und Analytics Themen (SAP Analytics Cloud) behandeln, dann freue ich mich sehr darauf mir die entsprechende Ausgabe zu besorgen.
Herzliche Grüße
Joachim Schirra