Industrielle Transformationsprozesse
Künftig wird es für Unternehmen in der Fertigungsindustrie kaum noch möglich sein, nur mit Produktverkauf wettbewerbsfähig zu bleiben. Wer sich nicht in Richtung Service-Provider weiterentwickelt, verliert an Bedeutung und Zukunftsfähigkeit – das prognostiziert die VDMA-Studie „Future Services 2035“, die anhand von Experten-Workshops verschiedene Zukunftsbilder entwickelt hat.
In einem Back-to-Basic-Szenario, bei dem alles so bleibt, wie es ist, würden Maschinenbauer von ihren Kunden entfremdet, von der Wertschöpfungskette entkoppelt und verlören ihre Position als Innovatoren. Wachsende Herausforderungen machen die Transformation in der Fertigungsindustrie alternativlos.
Schon seit Jahren kämpfen Unternehmen mit dem starken globalen Wettbewerbsdruck. Sie müssen sich gegen Hersteller aus Billiglohnländern behaupten, die ihre Produkte erheblich günstiger anbieten. Dadurch stagniert bei vielen deutschen Maschinenbauern das klassische Vertriebsgeschäft. Gestörte Lieferketten und der anhaltende Fachkräftemangel verschärfen die Lage weiter. Dazu kommen hohe Umweltauflagen, steigende CO2-Preise und wachsende regulatorische Vorgaben.
Servicebasierte Geschäftsmodelle
Der Wandel zum Service-Provider kann viele dieser Herausforderungen lösen oder zumindest erleichtern. Schon heute verlagern Anlagen- und Maschinenbauer ihr Geschäft zunehmend in den After-Sales-Bereich, wo sie gute Margen mit Ersatzteilen und technischen Dienstleistungen erzielen. Jetzt geht es darum, noch enger an die Bestandskunden heranzurücken und in eine gemeinsame Win-win-Situation hineinzuwachsen. Dies gelingt, indem Unternehmen nicht mehr einzelne Produkte und Leistungen verkaufen, sondern umfassende Lösungen im Subscription-Modell anbieten.
Das Ziel heißt: Equipment as a Service (EaaS). Kunden kaufen nicht eine Maschine, sondern beziehen sie als Service und bezahlen für deren Nutzung oder Output. Dadurch werden beide Parteien zu Partnern, die für den gemeinsamen Geschäftserfolg arbeiten. In diesem Modell profitieren Kunden von der garantierten Verfügbarkeit der Maschinen – ein attraktiver Mehrwert, für den sie auch gerne etwas mehr Geld ausgeben.
Außerdem haben sie keine hohen Anfangsinvestitionen und verwandeln Capex in Opex. Anbieter wiederum generieren einen kontinuierlichen Cashflow, können Kunden noch enger an sich binden und ihre Leistungen passgenau weiterentwickeln. Da ein solches Geschäftsmodell darauf abzielt, den Lebenszyklus einer Maschine zu verlängern, verbessern Unternehmen gleichzeitig ihre Nachhaltigkeitsbilanz. Sie sparen Ressourcen und reduzieren ihren CO2-Ausstoß.
Servicebasierte Geschäftsmodelle erfordern digitale End-to-End-Prozesse. Um den Betrieb der Produktionsmaschinen sicherzustellen, müssen Hersteller Daten aus der Kundenumgebung sammeln und auswerten. So können sie mithilfe von Predictive Maintenance und Remote Support die Wartung optimieren. Gleichzeitig liefern die Daten Erkenntnisse, wann welcher Kunde voraussichtlich welches Ersatzteil benötigen wird.
Hersteller können ihre Lagerhaltung entsprechend abstimmen, Ressourcen rechtzeitig bestellen und sind dadurch weniger verletzlich durch gestörte Lieferketten. Um servicebasierte Geschäftsmodelle zum Erfolg zu führen, müssen Unternehmen zudem ihre kundenseitigen Prozesse maximal effizient gestalten. Self-Services und Automatisierung spielen hier eine Schlüsselrolle. Diese Maßnahmen entlasten nicht nur Mitarbeitende und tragen dazu bei, den Fachkräftemangel zu bewältigen – sie verbessern auch die Customer Experience.
Erste Schritte mit Mehrwert
Noch hat EaaS für die meisten Unternehmen eher einen visionären Charakter. Doch es ist nicht zwingend nötig, die finale Ausbaustufe zu erreichen. Bereits auf dem Weg dorthin lassen sich an vielen Stellen Mehrwerte erzielen. Entscheidend ist, erste digitale End-to-End-Prozesse zu etablieren – am besten dort, wo sich mit geringem Aufwand der größte Vorteil ergibt. Dafür sollten Unternehmen einen Business-Case definieren und mit einem kleinen Prototyp starten.
Ein einfaches Praxisbeispiel ist die automatisierte Materialbestellung: Mit einem Data-Analytics-Modell lässt sich vorausberechnen, wie viel Schmiermittel eine Maschine verbraucht und wann dieses aufgefüllt werden muss. Die Information wird dann an das SAP-System des Herstellers übergeben und löst dort automatisiert den Bestellprozess aus. Der Kunde erhält eine Benachrichtigung und der Service-Techniker kann das Schmiermittel auffüllen, ohne dass es zu einem ungeplanten Stillstand kommt.
IoT schafft die Datengrundlage
Welche technischen Voraussetzungen sind erforderlich, um einen digitalen End-to-End-Prozess aufzubauen? Einer der zentralen Bausteine ist IoT. Die Technologie schließt die Lücke, die bisher zwischen dem SAP-ERP-System des Herstellers und den beim Kunden eingesetzten Maschinen bestand. Daten von Sensoren oder Maschinensteuerungen werden dann mithilfe einer Connectivity-Lösung in einen zentralen Daten-Service übertragen, dort gespeichert und analysiert. Anschließend können sie weiterverarbeitet und mit ERP-Prozessen verbunden werden. Gut umsetzen lässt sich das zum Beispiel im Zusammenspiel aus S/4 und Microservices der Hyperscaler. Sowohl AWS als auch Microsoft Azure bieten passende Lösungen auf ihren Plattformen an.
Portal als zentraler Touchpoint
Der zweite wichtige Baustein für einen digitalen End-to-End-Prozess ist ein smartes Kunden- und Service-Portal. Es bündelt die komplette Kommunikation und Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen unter einem zentralen Touchpoint. Hier fließen sowohl Daten von der Kunden- als auch der Anbieterseite ein, sodass die Plattform zum Bindeglied zwischen Produktion, ERP und CRM wird.
Kunden können im Serviceportal zum Beispiel Ersatzteile bestellen, Wartungsaufträge auslösen, Support-Anfragen stellen, Tickets aufmachen oder Tutorials und Dokumentationen zu ihren Maschinen abrufen. Optimale Unterstützung bietet ein Chatbot, der rund um die Uhr verfügbar ist, Informationen schnell bereitstellt und Standardfragen beantwortet. Außerdem lassen sich im Kundenportal auch die Condition-Monitoring-Daten aus der Produktionsumgebung visualisieren – zum Beispiel mithilfe eines digitalen Zwillings, der den kundenspezifischen Maschinenpark exakt virtuell abbildet.
SAP Commerce Cloud
Die Vollmer-Werke mit Sitz in Biberach an der Riß haben ein solches smartes Kundenportal mit digitalem Zwilling bereits auf Basis der SAP Commerce Cloud umgesetzt. Die Lösung umfasst ein IoT-Maschinen-Gateway, eine Cloud-Plattform und SAP-Integration. Die weltweit verteilten Kunden des Schärfmaschinen-Herstellers können sich jetzt in ihrem persönlichen Bereich im Serviceportal anmelden und den Status ihrer Maschinen einsehen. Außerdem haben sie Zugriff auf einen umfangreichen Informationspool, Chatbots und zahlreiche andere Services, darunter Live-Schaltungen mit Experten.
Best-of-Suite mit SAP
Um die Service-Transformation zu vollziehen, benötigen Unternehmen eine Systemlandschaft, die digitalisiert, automatisiert, effizient und transparent ist. Der SAP-Kosmos mit S/4 Hana, der SAP Sales und Service Cloud und mit der SAP Commerce Cloud schafft dafür sehr gute Voraussetzungen. Denn da bei einem digitalen End-to-End-Prozess viele verschiedene Systeme miteinander kommunizieren müssen, ist ein Best-of-Suite-Ansatz vorteilhaft.
Eine einheitliche Systemlandschaft reduziert Komplexität, erleichtert die Automatisierung und ermöglicht ein reibungsloses Zusammenspiel der beteiligten Komponenten. Außerdem vereinfacht sie die Wartung, weil bei einem SAP-System-Update auch die entsprechenden Schnittstellen automatisch aktualisiert werden.
Mehr als nur Technik
Auch wenn es naheliegt, zunächst auf die technischen Aspekte der Service-Transformation zu fokussieren, sollten Unternehmen von Anfang an den kulturellen und organisatorischen Wandel denken. Nahezu jede Abteilung ist davon betroffen – allen voran der Vertrieb. Mitarbeitende müssen künftig nicht mehr nur Produkte verkaufen, sondern sich intensiv mit Kundenprozessen auseinandersetzen. Um ein serviceorientiertes Mindset zu fördern, sind Change-Management-Maßnahmen wichtig.
Am Ende ist es der Dreiklang aus Menschen, Technologie und Prozessintegration, der den Wandel im Service zum Erfolg führt. Alle drei Säulen sollten Unternehmen von Anfang an mitdenken. Der beste Zeitpunkt, um zu starten, ist jetzt. Mit IoT, einem digitalen Kundenportal und SAP-Integration können Unternehmen erste End-to-End-Prozesse aufbauen und schnell spürbare Mehrwerte erzielen.
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