Ich schreibe hier über Cloud Computing im komplexen ERP-Umfeld, wie es die Anwendungen R/3, ECC 6.0 und S/4 seit vielen Jahren repräsentieren. Dieser Diskurs über das Wolkenkuckucksheim bezieht sich nicht auf E-Mail-Hosting, Google-Suche, ChatGPT, Amazon Storage oder cloudnative Anwendungen von Salesforce (CRM) und Workday (HCM), sondern ausschließlich auf eine mehrstufige, komplexe SAP-Architektur. Auch werden nicht die Anliegen und Pläne von SAP-Neukunden berücksichtigt, die ohne Altlasten munter und hoffnungsvoll in die Public Cloud marschieren.
Der SAP’sche Richtungsstreit ist etwa ein halbes Jahr alt und tobt zwischen erfahrenen SAP-Executives und dem Vorstand. Die Ausgangssituation ist trivial: Das beste aller weltweiten ERP-Systeme beruht auf einer wohldurchdachten und komplexen Architektur. Vor vielen Jahrzehnten erfanden Professor Hasso Plattner und sein damaliger Technikvorstand Peter Zencke das dreistufige Client-Server-Modell. Es bestand aus einem zentralen Datenbankserver, mehreren Applikationsservern und Hunderten bis Tausenden Clients. Diese Architektur wurde später virtualisiert und nichts spricht dagegen, das Client-Server-Modell erfolgreich in eine Cloud zu transformieren.
Die Cloud-Transformation eines operativen SAP-Systems ist aufwendig und komplex in der Planung, aber als Betriebsmodell fast trivial – was letztendlich zahlreiche SAP-Vorstände immer wieder von „Cloud only“ hat träumen lassen. Einen Vorwurf darf man Christian Klein nicht machen. Der SAP-CEO ist kein Techniker. Er sieht die vermeintlich niedrigen Cloud-Preise für seine Bestandskunden und die hohen Margen für SAP. Aber so einfach ist es im SAP-Universum nicht, sodass einige SAP-Manager besorgt an Christian Kleins Tür klopften, um ihn zu hybriden, wenn nicht sogar zu On-prem-Betriebsmodellen zu motivieren.
Lange Zeit blieb Christian Klein stur. Er pochte auf „Cloud only“, war dann unter Druck der SAP-Community zu einem ersten Schritt in Richtung „Cloud first“ bereit und sprach schließlich im Herbst des vergangenen Jahres von hybriden Szenarien.
Wie es um die Cloud bei SAP steht, offenbarte nun die jüngste Finanzmarktmeldung: Der Konzernumsatz soll bis 2025 auf mehr als 37,5 Milliarden Euro steigen. Bislang waren 36 Milliarden Euro angepeilt. Die Erwartungen für die Cloud-Umsätze, den SAP’schen Wachstumstreiber und Lieblingsthema von Christian Klein der vergangenen Jahre, schraubte dieser dagegen auf 21,5 zurück, von zuerst geplanten mehr als 22 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz soll demnach steigen, der Cloud-Umsatz fällt – eine radikale Richtungsänderung, oder?
Ein SAP’sches ERP-System besteht nicht nur aus einem operativen Teil, der durchaus in der Wolke sein kann, sondern auch aus vorgelagerten Systemen wie Entwicklung, Qualitätssicherung und Transportwesen. Für diese Systeme zahlt der Bestandskunde keine Lizenzen, weil sie dem Support des operativen ERP dienen. Vielleicht stehen sie auch deshalb nicht im Fokus des SAP-Vorstands? Tatsache ist, dass eine End-to-End-Betrachtung des ERP Landscape Management (LaMa) und Application Lifecycle Management aus der Perspektive des SolMan (on-prem) und ALM (Cloud) ganz besonders wichtig ist. Der interne Streit bei SAP bezieht sich fast ausschließlich auf diese Tatsache, dass die Serverarchitektur für Entwicklung, Qualitätssicherung, Transportwesen und das operative ERP bei Weitem noch nicht cloudready ist.
Ein Beispiel: Automatisiertes Testen ist für die Public Cloud mit ihren regelmäßigen und dynamischen Updates eine unverzichtbare Notwendigkeit. Zusammen mit dem Unternehmen Tricentis will SAP diese Funktion anbieten. Was in sehr kleinem Maßstab für eine operative Public Cloud funktionieren kann, ist für eine komplexe SAP-Systemlandschaft noch lange nicht verfügbar. Erfahrene SAP-Manager drängen somit Christian Klein, verstärkt und auch nachhaltig auf On-prem-Betriebsmodelle zu achten, wo mit SolMan und vielen anderen IT-Werkzeugen ein stabiler SAP-Basis-Betrieb möglich ist. Es kann sein, dass in ein paar Jahren auch automatisiertes Testen möglich wird.
Gefahr ist nicht im Verzug: Wie an der zitierten Finanzmarktmeldung zu erkennen ist, beginnen Christian Klein und der SAP-Vorstand die Realität zu akzeptieren. Die Private Cloud als On-prem-Betriebsmodell wird die einzig logische ERP-Architektur für die kommenden Jahre bleiben. SAP hat bereits Gespräche mit führenden IT-Server-Anbietern aufgenommen, um den Bestandskunden entsprechende Private-Cloud-Angebote zu offerieren. Der Richtungsstreit wird noch ein paar Monate anhalten. Er wird sich auf eine Marketing- und Kommunikationsebene verlagern und in einem Jahr vergessen sein.