Rise oder Grow
Rise, die ERP-Wundertüte
Der ECC-Nachfolger S/4 ist etwa zehn Jahre jung und wurde als On-prem-System präsentiert. Eine Schönheitsoperation sollte aus dem On-prem-S/4 mit einem über zehn Jahre alten Hana eine Cloud-Schönheit machen. Die Operation war ein Pfusch und S/4 ist aktuell weder ein würdiger Nachfolger für ERP/ECC 6.0 noch eine Antwort auf die zahlreichen Cloud-native-Angebote der Mitbewerber.
Was macht der Brautvater, wenn die Attraktivität der Braut nicht überzeugt? Er erhöht die Mitgift. Rise ist die Wundertüte für S/4 und soll das angestaubte ERP-Programm attraktiver machen und Cloud-Seligkeit versprechen.
Die Idee von Rise für S/4 war ein Rundum-sorglos-Paket. Das Ergebnis ist ein unverständliches Konglomerat von IT-Werkzeugen, Services und Software. Auch drei Jahre nach der Präsentation durch Christian Klein ringt SAP um eine eindeutige Definition. Ein erklärendes Whitepaper sucht der Bestandskunde bei SAP vergebens.
SAP selbst stellt auf der eigenen Website die Frage: Was ist Rise? Und der ERP-Weltmarktführer liefert eine Antwort, die mehr dem KI-Zeitgeist geschuldet ist als einem wahren Verständnis von ERP: „Das Angebot Rise with SAP schließt KI-gestütztes Cloud ERP ein, das von SAP verwaltet und optimiert wird. Es bietet Services und Tools, die auf dem Clean-Core-Ansatz von SAP basieren. So können Sie On-premises-Systeme migrieren, Geschäftsprozesse transformieren, kontinuierlich Innovationen vorantreiben und Cloud-Agilität für sich erschließen.“
ERP war früher einfacher
Rise schließt KI-gestütztes Cloud-ERP ein, meint SAP. Brauchen also die SAP-Cloud und das weltbeste ERP nun KI-Unterstützung, damit sie funktionieren? Die Aussage von SAP über Rise auf der eigenen Website gibt zu denken: Was ist aus dem guten alten R/3 und ECC geworden? KI und Cloud sind wesentliche Parameter einer erfolgreichen IT-Entwicklung, aber früher funktionierte ERP auch ohne KI und Cloud ganz hervorragend, oder?
Immer mehr verfestigt sich die Erkenntnis, dass Rise ein Verkaufsargument für den Ladenhüter S/4 sein soll. Rise ist die anmutige Verpackung für ein zehn Jahre altes Softwareprodukt. Rise ist das letzte Aufgebot, um die Braut noch unter den Hut zu bringen.
Grow ist Rise zum Quadrat
Ähnlich wie S/4 gescheitert ist, wird auch Rise die SAP nicht mehr retten. Das Notfallprogramm Grow scheint eine Exit-Strategie zu werden. SAP scheint sich jedoch ihrer Sache nicht besonders sicher zu sein: Bei jeder Gelegenheit – zuletzt bei der Sapphire 2024 in Orlando – gibt es neue Optionen für SAP-Bestandskunden mit Interesse an Rise und Grow. Wer die Programme wählt, der bekommt einen Enterprise-ERP-Architekten an die Seite gestellt.
Die Selbsterkenntnis ist gut, dass ein veraltetes S/4 nur noch mit einem erfahrenen IT-Enterprise-Architekten gebändigt werden kann. Aber letztendlich ist es auch ein Offenbarungseid von SAP: Wir haben keinen würdigen ECC-Nachfolger! Die Rise- und Grow-Mitgift ist mittlerweile unüberblickbar.
Private und Public Cloud Computing
Selbst das seltsame Ansinnen, dass Rise eine Antwort für Bestandskunden sei, die in die Private Cloud wollen oder On-prem bevorzugen, und dass Grow allein den Neukunden mit Zwang zur Public Cloud zugedacht wird, ist ein Treppenwitz der SAP-Historie. Solange SAP immer neue Funktionen und Services in die Rise- und Grow-Rucksäcke packt, statt klare Definitionen in einem Whitepaper zu veröffentlichen, werden die Spekulationen der SAP-Community jeden S/4-Erfolg verhindern. Die Prügel, mit denen sich SAP selbst zu Fall bringt, heißen Rise und Grow.