SAP im Wunderland
Die gute Nachricht für alle Cloud-Fans. Im Jahr 2024 soll es einen ersten Cloud-Entwurf einer der erfolgreichsten SAP-On-prem-Apps geben: BRIM, Billing and Revenue Innovation Management, wird in abgespeckter Version ein Cloud-Pendant bekommen. Dieser Schritt ist überfällig. SAP-Chef Christian Klein wirbt seit Monaten mit Cloud only, kann dieses Versprechen naturgemäß nicht einlösen. Das Ergebnis ist eine verunsicherte und hilflose SAP-Community.
Positiv anzumerken ist, dass SAP umsichtig und differenziert auf die eigene Cloud-only-Strategie schaut. Ein SAP-Executive meinte gegenüber dem E3-Magazin, dass es natürlich auch Bestandskunden gibt, die schon vor dem Cloud only eines Christian Klein mit ECC 6.0 oder S/4 bei den Hyperscalern beheimatet waren. Diese Innovatoren dürften natürlich nicht bestraft werden, weil sie nicht in die SAP’sche Cloud kommen wollen oder können – damit nach ersten Aussagen auf zukünftige SAP-Innovationen aus den Bereichen KI, Machine Learning oder Green Ledger verzichten müssten.
Die Verunsicherung und Empörung entstanden im Sommer 2023, als Christian Klein in einer Telefonkonferenz mit Finanz-analysten darüber sprach, dass zukünftige KI-Innovationen und ähnliche Erfindungen nur noch den Rise-with-SAP-Kunden zur Verfügung stehen werden. Wer sich also nicht mit einem Rise-Vertrag vollkommen dem ERP-Weltmarktführer ausliefert, der wird auch keinen Green Ledger oder KI-Programme bekommen.
Die Cloud-only-Ansage von SAP-Chef Christian Klein ist nur die Speerspitze. Dahinter steckt das finale Vendor-Lock-in. Wenn Christian Klein von Cloud only spricht, dann meint er naturgemäß Rise with SAP. Der Kern des Rise-Programms ist die vollkommene Aufgabe jeder Autonomie: Die wertvollen On-prem-Lizenzen werden vollständig in Cloud-Subskriptionen gewandelt.
Ab diesem Moment gibt es kein Entkommen mehr. Derselbe SAP-Executive meinte, dass für einen Cloud-Exit bei den Partnern sogenannte Data-Retention-Datenbanken zur Verfügung stehen, damit können Cloud-Daten gespeichert und gerettet werden sowie bestenfalls auch noch viele Jahre später für behördliche Anfragen ausgewertet werden. Überprüft hat das noch niemand.
Wer vorausschauend mit den eigenen SAP-Lizenzen in die Cloud eines Hyperscalers umzog, der hat die theoretische Chance, auch wieder zu downsizen. Viele Monate war unklar, wie SAP mit diesen autonom denkenden Bestandskunden verfahren soll. Es wird sich kaum ein Anwender finden, der mittels Rise-Programms von einem Hyperscaler in die SAP’sche Cloud umzieht. Aber einem innovativen SAP-Hyperscaler-Bestandskunden zukünftig die Cloud-Innovationen zu versagen erscheint SAP selbst als politisch nicht korrekt. Offensichtlich zeichnet sich eine hybride Lösung ab, nach der nicht zwischen SAP-Cloud und Hyperscalern unterschieden werden soll.
SAP im Wunderland war auch die TechEd in Bangalore, Indien. SAP-Technikvorstand Jürgen Müller präsentierte einen Copilot für Citizen Developer. Mit dem Werkzeug solle es gelingen, einfache SAP-Applikationen schnell in Eigenregie zu entwickeln. Das Erstaunen war groß, als Jürgen Müller eingestehen musste, dass der SAP’sche Copilot kein Abap beherrscht. Ein SAP-Copilot, der die Programmiersprache nicht kann, in der 80 Prozent aller SAP-Programme geschrieben sind?
Als Informatiker fällt mir die Antwort auf dieses Paradoxon nicht schwer: IT-Werkzeuge wie Copilots funktionieren ähnlich wie ChatGPT. Sie ernähren sich vom Internet. Dort gibt es Milliarden von Codezeilen aus Java und JavaScript, aber nur sehr wenig Abap. Mit dem geringen Abap-Lernmaterial ist es kaum möglich, eine KI zu trainieren. Welchen Weg nun SAP einschlagen wird, um auch einen Abap-Copilot präsentieren zu können, konnte oder wollte Jürgen Müller auf Nachfrage nicht sagen. Es war überraschend zu beobachten, wie schwer sich der ERP-Weltmarktführer mit der Nachfrage nach Abap tat. Im besten Fall könnte man argumentieren: Denn sie wissen nicht, was sie tun. (Rebel Without a Cause ist ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1955 mit James Dean.)
Diese SAP’sche Unsicherheit entsteht wahrscheinlich aus der Loyalität zu den Bestandskunden mit ihren Abap-Modifikationen versus die Public-Cloud-Strategie, wo Modifikationen eigentlich Gift sind. Wunderland: Aber die SAP-Community erlebt mit Steampunk soeben eine sehr erfolgreiche Abap-Renaissance und SAP präsentiert ein Programmierframework ohne Abap, aber mit dem verhassten Java. In der SAP-Community greift niemand Java an, weil dadurch hohe Lizenzzahlungen an Oracle entstehen. Boshaft würde sich formulieren lassen: Mit dem neuen SAP-Copilot wird der Oracle-Umsatz gesteigert.