Sense of Urgency – Composable ERP
Mein eigener Vorstand hat es schon erfahren: SAP wandelt sich zur Cloud-Company. Die erfolgreichen Bilanzzahlen der SAP zeigen das Gelingen dieses ambitionierten Vorhabens. Als ich mit eigenen Worten die SAP-Strategie von Christian Klein anlässlich unserer alljährlichen Vorstandsklausur wiedergab, erntete ich lediglich mildes Lächeln. Der Vorstand wollte weder meine Worte noch die überlieferten Ideen von Christian Klein bezweifeln oder diskreditieren, aber die Transformation eines technischen Betriebsmodells von On-prem zu Cloud ist bestenfalls eine operative Herausforderung, keinesfalls jedoch eine visionäre Strategie. Kommt da noch etwas?, fragte mich der Vorstand bei unserer Klausur.
Die Frage ist natürlich berechtigt und kam von unserem Group CFO, der für manche Abteilungen und Beteiligung bis zu drei Mal einen S/4-Releasewechsel finanzierte, ohne einen betriebswirtschaftlichen oder organisatorischen Mehrwert zu erkennen. Immer neue Verfahren und Funktionen nötigen die SAP-Bestandskunden, die ERP-Systeme zu modifizieren, was erhebliche Ressourcen verschlingt und die Digitalisierung ausbremst.
Management
Die Personalpolitik des SAP-Aufsichtsrats war in den vergangenen Jahren bescheiden: Da gibt es ein Mitglied des Vorstands, das nur mit einer Stimme gewählt wurde – mit der Stimme von Professor Hasso Plattner. Da gibt es die Microsoft-Seilschaft, die nun von einem Vorstandsmitglied freiwillig verlassen wird, das andere Mitglied der Seilschaft darf nicht gegangen werden, weil die Gefahr besteht, dass die Presse wieder schreibt: „SAP kann nicht mit Frauen“. Erinnerungen an Jennifer Morgan werden wach und die verunglückte Doppelspitze mit Christian Klein.
Nach einer belastbaren SAP–Strategie fragte mich unser Vorstand: Cloud Computing, S/4-Wartung bis 2040 und Abap auf der Business Technology Platform sind interessante Parameter für den operativen SAP-Betrieb, aber sie sind keine Erkenntnisse, die ein Vorstand eines der führenden Industriebetriebe hören will.
In unserer Vorstandsklausur wurde das Dringlichkeitsbewusstsein für eine ERP-Strategie offensichtlich. Im Ansatz eines ERP-Diskurses geht es nicht um finale Antworten, sondern um Möglichkeiten, um Orientierung und die Eröffnung von Perspektiven.
Führung
SAP unter Führung von Christian Klein vernachlässigt die Zukunft. Sein Reparaturdienstverhalten verhindert den Zusammenbruch des ERP-Weltmarktführers. Das Systemdesign eines künftigen ERP kann auf SAP-Komponenten beruhen, aber sein Wesen wird aus zusammengesetzten IT-Lösungen bestehen. Die Zusammensetzbarkeit wird kommende ERP-Architekturen definieren. Plattformen werden noch wichtiger werden, weil diese für die Homogenität stehen. Composable ERP trägt auch ein wenig Kybernetik in sich.
Der SAP’sche Kontrollverlust ergibt sich aus dem autonomen Zusammenspiel der einzelnen IT-Komponenten. Es geht um Wechselbeziehungen von Komponenten. Composable ERP bedeutet demnach nicht, dass jeder macht, was er will, sondern dass es ein gemeinsames Kontextverständnis in der SAP-Community geben wird. Diese Zusammensetzbarkeit wird ein Prinzip des ERP-Systemdesigns und im Besitz der Community stehen. Der Diskurs über ein ERP nach S/4 wird nicht bei SAP, sondern von uns Bestandskunden in der Community geführt.