Ende Januar fand die traditionelle SAP-Bilanzpressekonferenz statt und dort wurde deutlich: SAP hat nicht nur Probleme, sondern der Konzern agiert erratisch. SAP-Chef Christian Klein kündigte die Entlassung von 3000 Mitarbeitern unter anderem aus dem Bereich CRM an, während gleichzeitig etwa 1000 Leiharbeiter eines indischen IT-Dienstleisters für Entwicklung und Wartung beschäftigt werden, unter anderem für den Support des abgekündigten Business ByDesign.
Ende vergangenen Jahres war ich bei Peter Hartmann auf einer CIO-Tagung in der Schweiz. Ich sprach mit zahlreichen IT-Chefs und hörte viel Lob zum aktuellen SAP-CRM, das nun wesentlich leistungsfähiger und besser als Salesforce sein soll. Mit großer Überraschung habe ich dann die Worte von Christian Klein anlässlich der SAP-Bilanzpressekonferenz vernommen: Im Bereich CRM soll Personal eingespart und das CRM-Zusatzprodukt Qualtrics soll verkauft werden. Es klingt wie eine Kapitulation gegenüber Salesforce genau in dem Moment, in dem Bestandskunden wieder Interesse zeigen.
SAP agiert unter Christian Klein nicht stringent, weil dem jungen Vorstandsteam mit Jürgen Müller und Thomas Saueressig die langfristige Erfahrung und Perspektive fehlen. ERP ist anders! Vor vielen Jahren erklärte der damalige CFO des weltgrößten Chemieunternehmens BASF, dass die Einführung von SAP R/3 über ein Jahrzehnt dauerte. Einmal gemachte ERP-Entscheidungen reichen sehr weit in die Zukunft. Fehler lassen sich nur über viele Jahre beheben.
Viele Anordnungen von Christian Klein wirken erratisch. Aber der SAP-Chef befindet sich in guter Gesellschaft, wie ein Bericht von Spiegel online von Ende Januar betreffend die deutsche Autoindustrie zeigt: „Danach müssen Mercedes, Audi und Volkswagen ihre technischen Innovationen dringend vorantreiben, um im Elektrozeitalter ihre globalen Marktanteile nicht zu verlieren. […] So fehle es weithin noch an einer neuen E/E-Architektur. Die Bezeichnung steht für so etwas wie stabile Nervenbahnen, die unter der Komplexität elektronisch gesteuerter Funktionen im Auto nicht einknicken. […] Doch möglicherweise ist es dann zu spät. Wie dramatisch die Lage für die deutschen Autobauer ist, hatte Audi-Vertriebsvorständin Hildegard Wortmann vor einigen Wochen noch einmal bekräftigt: Demnach gebe es eine 50-Prozent-Chance, dass Audi in zehn Jahren noch existiere. Die Herausforderungen für die Autoindustrie seien so groß, dass noch schnellere Änderungen nötig seien: ‚Sonst sind wir weg vom Fenster.‘“
Ich fahre einen weit über zehn Jahre alten Audi A3. Ich kaufte das Auto mit dem damals teuersten Sound-, Radio- und Navigationssystem inklusive Apple-iPod-Schnittstelle. Wenige Jahre später stellte ich fest, dass dieses System nicht updatefähig ist. Während zu dieser Zeit bereits jede Miele-Waschmaschine, jeder Samsung-TV und jedes Smartphone per USB oder anderen Schnittstellen eine neue Firmware aufnehmen konnte, erklärte mir Audi, dass mein Autoradio auch weiterhin die iPod-Musikstücke nur als internen Zahlencode auf dem Display anzeigen wird.
Der Mercedes SLK meiner Lebenspartnerin konnte Klartext. Ich behaupte nun, dass Audi immer schon ein erratisches Verhältnis zu Elektronik hatte und der Ursprung der aktuellen Probleme mehr als zehn Jahre zurückliegt. Ebenso wird es zehn Jahre dauern, bis sich Verbesserungen einstellen – dann ist es aber nur noch eine 50-Prozent-Chance, ob Audi noch existiert.
Ähnlich verhält es sich aktuell mit SAP. Die Industrielösung Healthcare wird in einem stetig wachsenden Gesundheitsmarkt nicht ausgebaut und weltweit ausgerollt, sondern abgekündigt. Am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam gibt es den Universitätscluster Digital Health, weil die Digitalisierung des Gesundheitswesens ein Zukunftsthema ist. Das Innovationsprodukt Business ByDesign wird nicht dem Zeitgeist gemäß als Open Source wiedergeboren, sondern abgekündigt und outgesourct. SAP-CRM und Qualtrics werden nicht harmonisiert und synchronisiert, sondern reduziert und verkauft.
Es bleibt nur, das Spiegel-Zitat zu adaptieren: Danach muss SAP die technischen Innovationen dringend vorantreiben, um im Open-Source- und Transformationszeitalter die globalen Marktanteile nicht zu verlieren.So fehlt es bei SAP weithin noch an einer neuen ERP-Architektur. Die Bezeichnung ERP steht für so etwas wie stabile Nervenbahnen, die unter der Komplexität von Industrie 4.0, IoT, Supply Chain und Customer Experience nicht einknicken. Doch möglicherweise ist es zu spät.