Stellenabbau oder Antwort auf Fachkräftemangel?
Ohne künstliche Intelligenz (KI) geht nichts mehr. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Webseiten von Softwareherstellern, einschlägige IT-Publikationen, Geschäftsberichte von Unternehmen oder soziale Netzwerke durchforstet. Und so ganz falsch ist dieser Eindruck nicht: Im „KI-Monitor“ des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) wird ein KI-Index etabliert, der eine gestiegene Relevanz für KI über die letzten Jahre attestiert. Und auch der Einsatzbereich von KI erstreckt sich über die unterschiedlichsten Bereiche des privaten oder beruflichen Lebens: Assistenzsysteme im Auto, medizinische Diagnostik, biometrische Erkennungen, Predictive Maintenance in der Industrie – alles ohne KI mit ihren Kategorien Machine Learning, Deep Learning oder neuronale Netzwerke heute kaum denkbar. Selbst die Software, welche die Plagiatsjäger nutzten und die einige Politiker den Doktortitel kostete, ist selbstredend KI-gestützt.
Nun mag man einwenden, dass es KI schon vor Jahren gab. Schachcomputer gibt es seit mehr als 30 Jahren, Data Mining hielt mit Ende der 1990er-Jahre Einzug in die IT. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass gerade in den letzten zehn Jahren KI-Verfahren weiterentwickelt, verfeinert und weitaus wirkungsvoller wurden, was mit Big Data, dem Ausbau der IT-Infrastrukturen oder auch Cloud-Modellen zu tun hat.
KI soll die Effizienz in Unternehmen erhöhen. Ein schöner (Neben-)Effekt ist, den Menschen in seiner beruflichen Welt zu entlasten, damit er sich auf wesentliche, wertschöpfende Tätigkeiten konzen-trieren kann. Fördert KI damit auch den Stellenabbau, wenn Algorithmen immer mehr die Tätigkeiten von Menschen übernehmen? Sicher ist das nicht von der Hand zu weisen. Dennoch wird KI den Menschen niemals vollständig ersetzen können. KI-Verfahren arbeiten in aller Regel retrospektiv: Sie analysieren Prozesse und Vorgangsweisen der Vergangenheit, um daraus ableitend Aktionen für die Gegenwart umzusetzen. Zwar tut der Mensch nichts grundsätzlich anderes, jedoch setzt er überdies Empathie, vernetztes Denken, Kreativität und kognitive Flexibilität ein. Und hier stößt KI an ihre Grenzen.
Ein Beispiel aus dem Finanzbereich, dem Accounts-Payable-, also dem Rechnungseingangsprozess. Hier setzt man schon seit geraumer Zeit KI ein, um beim Gebrauch von OCR bei Papier- und PDF-Rechnungen die Ausleseraten zu erhöhen. Man will der Buchhaltung das lästige Erfassen der Rechnungen im SAP-System ersparen. Stattdessen kann sich die Buchhaltung auf die Rechnungslegungsvorschriften oder komplexere Vorgänge wie die Anlagenbuchhaltung, Abschreibungen oder periodische Konsolidierungen kümmern.
Herr der Prozesse
Doch allein bei OCR-Vorgängen macht KI nicht halt. KI wird mittlerweile auch für automatisierte Kontierungen bei FI-Belegen oder für das Management von Abweichungen zwischen Rechnung, Bestellung und Wareneingang eingesetzt. Dennoch braucht es die Buchhaltung, um regelmäßig die Einhaltung der Steuervorschriften (GoBD) zu prüfen, bei Ausnahmen einzuschreiten und letztlich Herr über den Prozess zu sein. Die Buchhaltung auf Autopilot – das ist allein schon aus steuerlichen Compliance-Gründen unmöglich. KI mag durchaus dazu beitragen, dass Stellen in der Buchhaltung abgebaut werden, jedoch sind dies zumeist Stellen, die ohnehin aufgrund der Lage am Arbeitsmarkt nur schwer zu besetzen sind. Schon jetzt hört man – wie aus anderen Arbeitsbereichen – die Klagen von Finanzleitern, dass altersbedingt ausscheidende Mitarbeiter kaum zu ersetzen sind.
Ist diese Sicht zu optimistisch? Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich die Fachabteilungen durch KI bedroht fühlen müssen. Gewisse Expertise lässt sich sicher durch KI ersetzen, der Mensch an sich wohl kaum. Um beim Bild des Autopiloten zu bleiben: Selbst, wenn eine Maschine auf Autopilot fliegt, sind immer noch Crewmitglieder im Cockpit.