Wenn Hersteller Händler werden
Vor allem in der Mode- und Lifestylebranche haben sich die Kunden längst daran gewöhnt, dass Hersteller zum Händler werden und eigene Flagshipstores unterhalten, ihre Ware direkt im Internet vertreiben und sich parallel zum klassischen Handel weitere Absatzorte und -möglichkeiten erschließen.
Neben dieser Strategie, die von Experten als „Vorwärtsvertikalisierung“ beschrieben wird, entdecken nun viele Hersteller auch den Vertikalisierungsweg rückwärts: Zahlreiche Produktionsunternehmen erfinden sich neu, stellen sich im Einkauf neu auf und werden selbst als Rohstoff- oder Materialhändler tätig.
Die Grenze zwischen Herstellung und Handel war nie trennscharf. Jetzt verschwimmt sie immer mehr.
Digitalisierung aller Abläufe und die technischen Möglichkeiten unter den Schlagwörtern „Industrie 4.0“ und „Internet der Dinge“ machen vieles möglich. Ein klassischer Stahlhändler wird zum Beispiel ein Industrieplattformbetreiber, der für seine Kunden komplette Lieferketten managt.
Viele Hersteller sehen neue Chancen durch Vertikalisierung. Sie entdecken nicht nur neue Wege zum Kunden, sondern auch neue Möglichkeiten in der Beschaffung und Logistik.
Voraussetzung sind flexible und anpassungsfähige Logistik- und Supply-Chain-Prozesse und ein strukturiertes Datenmanagement. GTM kann als Ergänzung des SAP-Standardsystems zur Abwicklung von Geschäften in den verschiedensten Sparten verwendet werden – und bietet damit gute Voraussetzungen für alle Hersteller, die neue Vertriebswege erschließen und selbst zum Händler werden.
Am Datenaustausch und der Auftragsabwicklung muss niemand scheitern…
Alte Denkgewohnheiten
Die Vorteile der Vertikalisierung für den Hersteller sind vielfältig. Man wird unabhängiger vom klassischen Handel: Vorwärts vom klassischen Einzelhändler, rückwärts vom klassischen Großhändler.
Hersteller, die Händleraufgaben selbst übernehmen, verbessern nicht nur ihre Marge. Sie erzielen auch eine höhere Datentransparenz über alle Prozessketten und können flexibler reagieren – auf spezielle Kundennachfragen ebenso wie auf kurzfristige Schwankungen und Engpässe auf den Rohstoffmärkten.
Mitarbeiter nicht überlasten
Wenn Hersteller zum Händler werden, müssen sie nicht nur mutige strategische Entscheidungen über Finanzierung, Lagerwirtschaft und Logistik treffen. Auch gilt es, die Organisation durch die neuen Aufgaben nicht zu gefährden. Schließlich heißt das Motto zumeist ja „Das eine tun, ohne das andere zu lassen“.
Mitarbeiter müssen zumeist neue Aufgaben übernehmen, ohne die vormals klassischen Prozesse und Tätigkeiten zu vernachlässigen. Vertikalisierung ist zumeist eine Ausweitung des Geschäfts, keine Ersetzung des Bestehenden.
Umso wichtiger sind eine IT-Infrastruktur und ein Datenverarbeitungsansatz, der sowohl Einkaufs- als auch Verkaufsprozesse komplett und einfach abbildet und durchgängige Transparenz ermöglicht.
Trading Contract
Mit GTM bietet das SAP-Standardsystem alle Möglichkeiten, um zusätzlich zu den klassischen Prozessen eines Herstellers weitere Abläufe, die sich durch die Vertikalisierung ergeben, transparent und kongruent abzubilden.
GTM stellt verschiedene Prozesse traditionell auf der Basis eines zentralen Dokuments dar. Der sogenannte Trading-Kontrakt dient zur Erfassung aller Daten, die sich zur Erfüllung eines Kundenauftrages ergeben – vom Materialeinkauf bis zur Rechnungsstellung.
Er integriert Kundenaufträge, Bestellungen und sämtliche Nebenkosten. Das dient der Transparenz und Effektivität, weil Mitarbeiter Arbeitsschritte nicht mehrfach und nicht in getrennten Systemen erfassen müssen.
Zudem erlaubt diese Methode ein verlässliches Controlling. Einkaufs- und Verkaufskontrakte können miteinander assoziiert werden. Durch die Assoziation auf Chargenebene erfolgt eine Reservierung der Artikel für einen Verkaufskontrakt.
Als Händler kann man so auf einen Blick sehen, ob noch ausreichend Handelsware vorhanden ist oder ob nachbestellt werden muss. Mit der Berücksichtigung aller Kosten und deren Zuordnung zu einem oder mehreren Trading-Kontrakten zeigt GTM ausführlich, ob ein Geschäft profitabel abgewickelt wird.
Gerade in Anfangsphasen der Vertikalisierung ist diese direkte Profitabilitätsanzeige, die auf allen Kosten- und Erlösarten fußt, von großem Wert: Führungskräfte könnten ja zumeist nur auf wenig Erfahrungswissen zurückgreifen.
Nach der Entscheidung zur Vertikalisierung muss ein Unternehmen die komplette Preis- und Margenpolitik neu erlernen – unabhängig von der jahrelangen Erfahrung als Hersteller.
DSAG meldet Erweiterungsbedarf an
Mit der GTM-Komponente bietet SAP alle Möglichkeiten für Hersteller, die zum Händler werden, den Fluss von Waren und Dienstleistungen auch unter neuen Bedingungen lückenlos und übersichtlich abzubilden.
Allerdings meldet die Arbeitsgruppe GTM der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) nach Rücksprache mit Kunden, die auf GTM setzen, auch Erweiterungsbedarf an.
Gefragt ist eine bessere Integration von GTM in die Bestandsführung und Inventur: Zum Beispiel kann GTM das Konsignationsgeschäft, mit dem der Hersteller seine Ware beim Händler oder Kunden lagert, bevor sie vollständig verkauft ist, noch nicht optimal abbilden.
Hier würde eine Erweiterung der GTM-Komponente viel Arbeitsaufwand ersparen und die Transparenz steigern. Auch Bestandsumbuchungen und Lohnbearbeitungspositionen müssen besser integriert werden, um schlanke und einfache Bearbeitung zu ermöglichen.
Alle neuen Funktionen müssen natürlich die Assoziation von Kontrakten berücksichtigen.
Vertikalisierung
Die gute Nachricht: Im Vergleich mit den strategischen Risiken und den Anforderungen an kulturellen und operativen Wandel, die Produktionsunternehmen mit Betreten des Neulands „Vertikalisierung“ auf sich nehmen, ist die Erweiterung der SAP-Landschaft verhältnismäßig einfach zu bewältigen.
Das GTM-Modul lässt sich hervorragend zur Organisation des Warenflusses einsetzen. Als offenes System bietet es eine Reihe von Erweiterungsmöglichkeiten. Vor dem Sprung in die Vertikalisierung steht deshalb die genaue Bestandsaufnahme, welche der neuen Handelsprozesse sich mit der Standardeinstellung abbilden lassen und wofür Add-ons entwickelt werden müssen.