Open Source Toolchain
Beim Thema Open Source denken viele SAP-Bestandskunden an das Betriebssystem Linux, das als Unterbau für die Datenbank Hana verpflichtend ist. Mittlerweile gibt es aber wesentlich mehr Open-Source-Produkte in der SAP-Community. „Inzwischen werden immer mehr Open-Source-Projekte um SAP-Aspekte erweitert und dadurch neue Services ermöglicht“, erklärt Peter Körner von Red Hat zu Beginn des E3-Gesprächs. Drei Beispiele verdeutlichen das große Leistungsspektrum, das Open Source im SAP-Kontext bietet: die Automatisierung, das SAP Linux Lab und die Security. „Im Bereich der Automatisierung ist Ansible zu nennen“, beschreibt Peter Körner das Angebot. „Mit der etablierten Red Hat Ansible Automation Platform, einer Enterprise-Lösung mit Support und zertifiziertem Content, können Unternehmen die IT-Landschaft bis hin zur SAP-Umgebung automatisieren.“
Der Ansible-Einsatz umfasst dabei nicht nur initiale Deployments, Installationen oder Provisionierungen für Migrationen in Cloud-Instanzen, auch der tägliche Betrieb sowie Wartungstätigkeiten und neuerdings sogar „Housekeeping“-Aufgaben lassen sich automatisieren. Peter Körner ergänzt: „Aus Red Hat Ansible Automation Platform heraus kann zudem in ein laufendes SAP-System hinein zugegriffen werden, um zum Beispiel Benutzerberechtigungen auszulesen und in ein anderes System einzupflegen. Red Hat Ansible Automation Platform unterstützt somit prinzipiell die Automatisierung von SAP-Workloads im Hinblick auf Day 1 und Day 2 Operations. Nicht zuletzt können Unternehmen mit Red Hat Ansible Automation Platform und Self-Services auch Themen wie Compliance, Security und Governance adressieren, die traditionell mit einem hohen manuellen Aufwand verbunden sind.“
Damit Hand in Hand ist die Open-Source-Initiative des SAP Linux Lab zu erwähnen, die die automatisierte Erstellung und Verwaltung von SAP-Umgebungen erleichtert. Basis dafür sind vereinheitlichte und modulare Codes und Tools, die von SAP-Technologiepartnern entwickelt und bereitgestellt werden. Im Hinblick auf den Bereich Security ist zum Beispiel der Einsatz von SELinux (Security Enhanced Linux) jetzt auch für produktive SAP-Instanzen zertifiziert. Darüber hinaus ist Red Hat Insights zu nennen, das eigene Regelwerke für die Nutzung in SAP enthält. Der Service bietet Risikoanalysen, ein proaktives Infrastrukturmanagement sowie eine automatische Behebung potenzieller Software-Sicherheits- und Konfigurationsprobleme. Mit dem Fokus auf die Bereiche Betrieb, Sicherheit und Business analysiert dieser Service die Plattformen und Anwendungen auf Sicherheits- und Performance-Risiken, sodass eine bessere Verwaltung von SAP-Landschaften möglich ist.
ERP-Modernisierung
Mit Hana und S/4 soll auch eine Modernisierung in der ERP-Landschaft stattfinden. Können auch Open-Source-Verfahren und Produkte zu dieser Modernisierung der ERP-Architektur beitragen? „Mit Open-Source-Prinzipien können bei SAP-Modernisierungen und -Migrationen viele Probleme und Stolpersteine von Anfang an vermieden werden“, sagt dazu Peter Körner und ergänzt: „Echtzeittransparenz für alle Beteiligten, Anpassungsfähigkeit und Kollaboration während der Projektlaufzeit bilden das Fundament für eine aktuell im deutschsprachigen Raum entstehende Ökosystem-Toolchain für S/4- und Rise-Projekte.“ Diese Projekte in der SAP-Community basieren zum einen auf einer durchgehenden IT-Plattform für die Modernisierung auf Open-Source-Basis – etwa für die Adressierung von Themen wie Prozessanpassungen, Change Management, Schnittstellen, API-Management, Legacy Code, Eigenentwicklungen, Data Lakes, Historisierung, Hybrid-Cloud-Szenarien oder Non-SAP-Integrationen. „Zum anderen ergeben sich aus dieser IT-Grundlage viele Synergien, sodass Fachbereiche, IT-Abteilungen, Partnerunternehmen und viele weitere Stakeholder, die bislang völlig isoliert gearbeitet haben, miteinander reden und planen können“, betont Red-Hat-Manager Körner im E3-Gespräch.
Transformation und Quick Wins
Im Gegensatz zu traditionellen Transformationsprojekten ist das zentrale Charakteristikum einer integrierten Ökosystem-Toolchain das permanente Teilen von Informationen, Fakten und Erkenntnissen sowie Techniken während aller Projektphasen nach Open-Source-Prinzipien. Analyseergebnisse und Projektparameter werden untereinander ausgetauscht, Resultate und Quick Wins von allen genutzt sowie Zielplattform-Vorgaben automatisiert an den nächsten Stakeholder übergeben.
Das Know-how und die Handlungsfähigkeit der SAP-Community werden dieses Ökosystem mithilfe von Open Source entstehen lassen. Professor August-Wilhelm Scheer bringt demnächst ein Buch auf den Markt, in dem genau diese Zukunft beschrieben wird: Composable Enterprise. Die Alternative zum klassischen ERP und der damit verbundenen Projektarbeit ist das von der SAP- und Open-Source-Community zusammengesetzte ERP. Das Modul FI/CO wird auch weiterhin SAP beisteuern. KI- und IoT-Funktionalität wird von den Hyperscalern kommen. End-to-End-Prozesse wird die SAP-Community auf Basis der SAP Business Technology Platform mit Steampunk (Embedded Abap) und einer Ökosystem-Toolchain eigenständig customizen. Composable Enterprise ist die Alternative zu klassischen ERP-Architekturen. Die SAP-Bestandskunden werden die nächste ERP-Generation mit Open-Source-Werkzeugen definieren.
Was bietet Open Source? Ein Framework an IT-Werkzeugen oder auch strategische Handlungsempfehlungen? Peter Körner definiert: „Bei Open Source geht es nicht nur um Lösungen, Tools, Technologien und Frameworks, sondern auch um Prinzipien wie Offenheit, Flexibilität, Unabhängigkeit, Wahlfreiheit, um selbst hochkomplexe Projekte in hohem Tempo und in hoher Skalierung umzusetzen. Diese Prinzipien können durchaus auch als Handlungsempfehlungen für SAP-Modernisierungen dienen.“
Hybride Cloud ohne Lock-ins
Der Open-Source-Ansatz, der Technik, Prozesse und Kultur in Einklang bringt, ist ein entscheidender Treiber der digitalen Transformation, die auch für SAP-Bestandskunden alternativlos ist. Open Source bietet Unabhängigkeit, meint Peter Körner, sodass eine echte Hybrid-Cloud-Strategie umsetzbar ist, und eine große strategische Flexibilität ohne Lock-ins, die angesichts sich rasant entwickelnder Märkte und auch regulatorischer Auflagen immer wichtiger wird – man denke nur an DORA, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, den digitalen Produktpass oder Sustainability-Anforderungen.
Der mit SAP R/3 entstandene Mythos besagt, dass alle betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Funktionen integriert gehören und letztendlich einen Single Point of Truth besitzen. Gleichzeitig soll das ERP-Konstrukt auch Freiheitsgrade für Diversifikation besitzen. Mit dem drei-stufigen Client-Server-Modell ist Professor Hasso Plattner die perfekte ERP-Integration gelungen und parallel dazu entstand mit Abap ein IT-Werkzeug für die notwendige Diversifikation. Die Aufbau- und Ablauforganisation eines jeden Unternehmens kann so in der IT abgebildet werden. Ein aktueller Diskurs des Anwendervereins DSAG zeigt: Eine Business Technology Platform muss funktional überzeugen und nicht durch innovative Technik blenden. Der betriebswirtschaftliche Aspekt ist der Wettbewerbsvorteil für uns SAP-Bestandskunden.
Eine digitale Transformation der Aufbau- und Ablauforganisation gelingt nicht mit einem technischen Releasewechsel. Das Systemdesign eines ERPs kann auf SAP-Komponenten beruhen, aber sein Wesen wird aus zusammengesetzten IT-Lösungen mit einer Ökosystem-Toolchain bestehen. Die Zusammensetzbarkeit wird kommende ERP-Architekturen definieren. Plattformen werden noch wichtiger werden, weil diese für die Homogenität stehen. Die Hinwendung von SAP zu Open Source, zu Plattformen, zu demokratischen Programmiermodellen, zu KI und Machine Learning wird die SAP-Bestandskunden in der digitalen Transformation rasch weiterbringen.
Composable ERP trägt ein wenig Kybernetik in sich. Es geht um Wechselbeziehungen von Komponenten. Ein hochkombinierbares System bietet den SAP-Bestandskunden die ERP-Komponenten, die in verschiedenen Kombinationen zusammengesetzt werden können, um die Benutzeranforderungen zu erfüllen. Mit einer Ökosystem-Toolchain wird sich auch die SAP-Partnerlandschaft revolutionär verändern, weil jede Art von Abhängigkeit und Monopol verschwindet. Composable ERP bedeutet demnach nicht, dass jeder SAP-Bestandskunde macht, was er will, sondern dass es ein gemeinsames Kontextverständnis – Toolchain – in der SAP-Community geben wird. Diese Zusammensetzbarkeit wird ein Prinzip des ERP-Systemdesigns und im Besitz der Community stehen. SAP und viele andere IT-Anbieter werden zu Werkzeuglieferanten.
Beim Thema Modernisierung: Wie wichtig sind damit die Open-Source-Werkzeuge? Wie wichtig sind die Experten, die diese anwenden können? Auf was sollte der SAP-Bestandskunde achten? „Open Source steht für Innovation und ist auch fester Bestandteil der SAP-Welt“, erklärt Peter Körner. Nahezu jeder Player im SAP-Ökosystem, sei es ein Partner, ein Independent Software Vendor oder ein Add-on-Hersteller, greift das Open-Source-Thema auf. Bei der Auswahl einer Lösung oder eines Partners ist allerdings Vorsicht geboten, meint Red-Hat-Manager Körner und betont: „Auch wenn Open Source prinzipiell für hohe Flexibilität und Interoperabilität steht, ist die Nutzung nicht immer eine triviale Angelegenheit.“ Gerade für den Produktiveinsatz in der eigenen Entwicklung und im Betrieb benötigt es mehr als den Download aus der Open-Source-Community. Unterstützung bieten hier bewährte Policies für den sicheren und sinnvollen Open-Source-Einsatz. Es bieten sich darüber hinaus viele Technologie-Frameworks an, die die Modernisierung der Anwendungslandschaft vereinfachen.
Enterprise-ready-Lösung
Es gilt somit, auf Frameworks zu achten, hinter denen nur sehr kleine Communitys stehen und bei denen deshalb keine kontinuierliche Weiterentwicklung garantiert ist. Für unternehmenskritische Anwendungen sind solche Frameworks problematisch. Folglich sollten vor allem im Hinblick auf die Infrastruktur- und Technologiebasis sorgfältig kuratierte Enterprise-ready-Lösungen auf Open-Source-Basis genutzt werden, die auch Supportleistungen und Zertifizierungen beinhalten. Peter Körner dazu: „Bezogen auf SAP betrifft das etwa das Linux-Betriebssystem, die Ansible-Automatisierung, das API-Management oder die Schichten einer hybriden Multi-Cloud-Architektur.“
Abschließend erklärt Peter Körner im E3-Gespräch, dass es außer Frage steht, Open-Source-Lösungen und Technologien sind die entscheidenden Modernisierungstreiber. Fast alle Innovationen wie Cloud, Big Data, künstliche Intelligenz, Machine Learning oder Internet of Things sind das Ergebnis von Open-Source-Ökosystemen. „Und auch SAP oder SAP-Partner können diese Entwicklung nicht ignorieren, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Agilität und Flexibilität zu steigern“, weiß Peter Körner aus seiner beruflichen Praxis. „Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der Mehrwert einer Lösung heute nicht mehr im technischen Unterbau liegt, sondern in der Orchestrierung einer komplexen Welt aus neuen Techniken und Möglichkeiten, für die Open-Source-Plattformen die Basis sind. Open-Source-Geschäftsmodelle haben sich durchgesetzt, altes Silodenken funktioniert nicht mehr, sich öffnen umso mehr.“