Innovations-Killer indirekte Nutzung
Jeder SAP-Lizenzkauf basiert auf einem individuellen Vertrag, den gültigen allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sowie der SAP-Preis- und -Konditionenliste (PKL).
SAP überarbeitet und ändert diese Preis- und Konditionenliste einmal im Quartal. Diese Änderungen umfassen Preise, Produkte und Metriken. Neue SAP-Produkte werden hinzugefügt oder Optionen entfernt, wie beispielsweise die Named-User-Lizenz „SAP Limited Professional User“.
Nutzungsrechte können neu definiert werden! So kann eine bisher kostenfreie Nutzung nach der Änderung durchaus kostenpflichtig werden. Oder der SAP-Key-Account-Manager fordert seine Kunden überraschend auf, Nutzungen, die ihnen seit Jahren aus „Kulanz“ kostenlos überlassen wurden, doch noch nachzulizenzieren.
Solch ein Fall ist u. a. die „indirekte Nutzung“. Lange Zeit war es ein Graubereich, der dennoch viele Projekte zu Fall brachte – teils aufgrund fehlender Definitionen und Abgrenzungen, teils aus Kostengründen.
Ein Beispiel:
Ein Bestandskunde mit etwa 100 Named-SAP-Usern wollte ein Serviceportal mittels einer extern programmierten Webseite (Java) implementieren. Aufgabe wäre die selbstständige Datenpflege durch die B2B-Kunden des Unternehmens. Damit würden über das Web-Portal Kundendaten in das SAP-System eingespielt und durch das Portal auch gepflegt werden.
Eine Schätzung ergab etwa 10.000 erwartete Web-Logins, die auf SAP „indirekt” zugreifen könnten. Laut Preisliste war damals der „NetWeaver User“ notwendig (ca. 150 Euro). Diese Preisvorgabe machte das ganze Projekt aus Kosten-Nutzen-Sicht kaputt!
Nach ausdauernder Verhandlung konnte man sich auf einen „symbolischen Euro“ pro geplanten Portal-Nutzer, also in Summe 10.000 Euro einigen.
In den vergangenen PKL-Änderungen hat SAP die Definition „Nutzung“ weiter konkretisiert – was letztendlich dem Anziehen einer Daumenschraube gleichkommt.
Das Ziel ist eindeutig: entweder Mehreinnahmen bei Lizenzen und Pflegegebühr oder die Übersiedlung in die Wolke. Somit ergeben sich für On-premise-Bestandskunden verschiedene rechtliche Fragestellungen:
Sind SAP-Kunden tatsächlich rechtlich verpflichtet, die indirekte Nutzung bei SAP zu melden und ggf. nachzuzahlen, auch wenn diese bereits seit Jahren kostenlos erfolgt?
Ist den Kunden das finanzielle Risiko bewusst, und ist dieses im Risikomanagement entsprechend berücksichtigt? Welche Mechanismen werden eingesetzt, und werden diesbezüglich Rücklagen gebildet?
Um herauszufinden, wie Bestandskunden mit sich ändernden Lizenzbedingungen umgehen und welche Auswirkungen solche Vertragsveränderungen mit sich bringen, hat Guido Schneider, Geschäftsführer von SecurIntegration und erfahrener SAP-Lizenzexperte, eine Online-Umfrage unter SAP-Kunden und DSAG-Mitgliedern durchgeführt. Insgesamt haben 61 Unternehmen Fragen zu ihren bisherigen Erfahrungen und zur Risikoeinschätzung beantwortet.
Die Ausgangsbasis
Bestandskunden, aber auch viele SAPKey-Account-Manager können nach Guido Schneider die indirekte Nutzung oftmals nicht präzise definieren:
„Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum in der Vergangenheit hierfür keine entsprechenden Nutzungsrechte, SAP-Lizenzen, gekauft bzw. verkauft wurden.“
Untersucht man die Preis- und Konditionenlisten ab 2006 (bzw. zum Zeitpunkt der Einführung von SAP NetWeaver 2004) und vergleicht sie mit der aktuellen PKL von Q3/2015, so ergibt sich Folgendes:
SAP unterscheidet, ob der Zugriff auf Applikationen über SAP-eigene Technologie, also „innerhalb“ von SAP (Abap- oder Java-Stack), erfolgt oder nicht. Passiert der Zugriff über kundeneigene Entwicklungen oder über Software von Drittanbietern, dann verlangt SAP hierfür ein zusätzliches Nutzungsrecht in Form der „NetWeaver Foundation for Third Party Applications“-Lizenz.
Der Kunde kann einmalig entscheiden, auf welcher Basis er die Lizenz erwerben möchte: Core-based (Anzahl der CPU-Kerne, auf denen die Applikation läuft) oder User-based (Anzahl der Anwender, die die Applikation nutzen).
Ein Mischen der Berechnungsansätze oder das Wechseln von einem Lizenzmodell zum anderen ist für den Anwender laut aktueller PKL nicht möglich.
Die Core-Lizenz kostet 30.000 Euro, die User-Lizenz mit einer Mindestabnahme von 120 Einheiten kostet 450 Euro pro User für die Datenbanken MaxDB, IBM DB2, Sybase ASE und Hana.
Die „NetWeaver Foundation for Third Party“-Lizenz muss der Bestandskunde also erwerben, wenn er Fremdsoftware (Third-Party-Software) betreiben will, die auf SAP-Technologie basiert.
Unabhängig davon benötigt er zudem noch ein passendes Nutzungsrecht, die Named-User-Lizenz. Liegt diese nicht vor, so muss die „SAP Platform User“-Lizenz für 1.300 Euro bestellt werden. Der SAP Platform User for Productivity Apps kostet 250 Euro.
USMM & LAW
Messbar für SAP sind die Nutzung bzw. der Zugriff mit den vorhandenen Vermessungstools USMM (Transaktion: User System Measurement) und LAW (License Administration Workbench) bisher noch nicht!
Im Einzelfall muss daher technisch/manuell ermittelt werden, welche Zugriffsform vorliegt und welche Nutzungsrechte der jeweilige „SAP-User“ für diesen Zugriff benötigt.
Juristisch wäre ebenfalls zu prüfen, ob tatsächlich eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wenn Anwender keine Funktionen innerhalb des SAP-Software-Codes nutzen, sondern lediglich auf unternehmenseigene Daten (lesend bzw. schreibend) zugreifen.
Eine Systemvermessung wird noch undurchsichtiger, wenn es Nachkäufe gab, denn dann kommen unterschiedliche AGB und PKL zur Anwendung: Was also vielleicht vor einigen Jahren erlaubt und kostenfrei war, ist heute kostenpflichtig.
Eine historische Zuordnung von SAP-Lizenzen zu den Ergebnissen aus USMM und LAW gibt es aber nicht! Guido Schneider meint dazu: In dem Moment, in dem ein Unternehmen somit SAP-Lizenzen erwirbt, erkennt es auch die aktuellen AGB und damit die aktuelle PKL an.
Diese PKL und die darin beschriebenen Konditionen (Nutzungsrechte) gelten für die aktuell gekauften Lizenzen. Ob sie auch rückwirkend auf bereits erworbene Lizenzen anzuwenden sind, müsste juristisch überprüft werden. Die Frage ist für jene Fälle relevant, in denen ein Unternehmen vor der Einführung der PKL 2006 Eigenentwicklungen programmiert hat und diese noch einsetzt.
Diese sind theoretisch nicht lizenzpflichtig, da es eine entsprechende Lizenz damals noch nicht gab. Erwirbt das Unternehmen jedoch in diesem Jahr SAP-Lizenzen, akzeptiert damit die aktuelle PKL und nimmt im folgenden Jahr eine neue Eigenentwicklung in Betrieb, müsste das Unternehmen demnach für diese neue Eigenentwicklung eine „SAP NetWeaver Foundation for Third Party Applications“-Lizenz erwerben.
Sollten die Vertragsregeln dies so vorsehen und rechtsgültig sein, stellt sich die Frage, ob sich alle Unternehmen darüber im Klaren sind, dass mögliche Nachforderungen auf sie zukommen können. Ist SAP hier in der Verpflichtung, ihre Kunden auf diesen Umstand hinzuweisen? (Ende des Zitats)
Die Untersuchung von SecurIntegration hat ergeben, dass über 80 Prozent der Befragten die aktuelle PKL nicht kennen, und sie wurden von der SAP auch nicht über die entsprechenden Änderungen informiert.
Die juristische Bewertung, ob dies im B2B-Umfeld überhaupt erforderlich ist oder ob der Bestandskunde selbst verpflichtet ist, sich aktiv über mögliche Änderungen zu informieren, kann Guido Schneider allgemein nicht beantworten. Festzustellen ist aber, dass viele Kunden über ihre aktuellen Vertragskonditionen im Unklaren sind.
SAP-Lösung heißt Cloud
Nicht nur die Bestandskunden sind verunsichert, auch die SAP-Key-Account-Manager scheinen unwissend zu sein. Dem E-3 Magazin wird immer häufiger berichtet, dass SAP ihre Bestandskunden unter anderem mit dem Argument in die Wolke locken will, dass es dann keine Lizenzkosten für indirekte Nutzung gibt – was technisch gesehen natürlich vollkommener Unfug ist, aber aus Sicht der Walldorfer unternehmenspolitisch verständlich erscheint:
Kommt der Bestandskunde in die teure SAP-Cloud, bekommt er die indirekte Nutzung als Naturalrabatt. Auch unter diesem Aspekt muss die Änderung der AGB und PKL verstanden werden. SAP kämpft um einen echten Mehrwert für das Cloud-Geschäft.
Cloud Computing ist aber bei europäischen SAP-Bestandskunden keine Lösung für das Thema indirekte Nutzung. Damit verschärft sich der Konflikt und hat unmittelbaren Einfluss auf Innovationen bei Partnern und Kunden sowie die Weiterentwicklung von Geschäftsprozessen.
Eine Zusammenfassung aus dem Umfeld der DSAG lautet demnach auch, dass aufgrund dieses ungeklärten Lizenzthemas viele innovative Kundenprojekte von SAP zerstört wurden. Die oft erwähnten Themen Investitionsschutz, Nachhaltigkeit, Innovationsfähigkeit sind aus diesem Blickwinkel marginal und unbedeutend.
Viele DSAG-Mitglieder sind dafür, das Thema endlich objektiv und für beide Seiten vernünftig zu lösen. Mit Blick auf IoT (Internet of Things/Industrie 4.0) sind IT-Experten skeptisch, wie man das Senden von Nachrichten von Maschinen an SAP (M2M) umsetzen kann, wenn man von der (lizenz)technischen Plattform der SAP nicht überzeugt ist.
(Text von Peter M. Färbinger unter Verwendung der SecurIntegration/DSAG-Umfrage und zahlreicher Leserbriefe)