Die Verschmelzung von physischer und virtueller Welt


Welche Herausforderungen birgt die weitere Digitalisierung der Supply Chain aus Ihrer Sicht?
André Käber: Es gibt kein allgemeingültiges Rezept für die Digitalisierung der Logistikkette: Jede Branche und Industrie hat ihre spezifischen Anforderungen. Deshalb müssen zunächst diese Anforderungen verstanden und auf ihr Digitalisierungspotenzial hin bewertet werden.
Dabei stehen Unternehmen und deren Logistiknetzwerke vor der Aufgabe, eine sinnvolle Kombination der bestehenden Logistik- und IT-Systeme mit neuen disruptiven Technologien und Ansätzen zu identifizieren, zu prüfen und zu testen. Nur so wird der Schritt in neue Geschäftsmodelle gelingen.
Dieser Prozess des Neu- und Umdenkens ist nicht einfach. Unsere Erfahrung zeigt: Für die Umsetzung und den Test digitaler Innovationen bieten sich schlanke, agile und auf übersichtliche Funktionsumfänge reduzierte Proofs of Concept an. Sehen hilft beim Verstehen!
Mit welchen Folgen müssen Unternehmen gerade aus der Zulieferbranche rechnen, wenn sie ihre Prozesse nicht digitalisieren?
Käber: Sie riskieren eine zunehmende Entkopplung von der Logistikkette ihrer Kunden. Es ist davon auszugehen, dass Kunden die entstehenden Kosten, die aufgrund manueller Prozesse und somit mangelnder Digitalisierung entstehen, künftig auf den Zulieferer umlegen. Perspektivisch könnte sogar ein Ausschluss aus dem Liefernetzwerk drohen.
Viele Logistikdienstleister tun sich schwer mit Digitalisierungsthemen. Was verursacht den Unternehmen in der Regel das meiste Kopfzerbrechen?
Käber: In unserem Umfeld, dem Bereich der Supply Chain Execution, beschäftigen sich viele Kunden mit der Digitalisierung ihrer Transport- und Hoflogistik.
Dabei sind derzeit mehrere Einflussfaktoren zu erkennen: Vor allem ist das der Wunsch nach einer nahtlosen Integration zukünftiger Systeme, speziell der Veränderung der bestehenden SAP-Landschaft hin zu S/4 Hana.
Man kommt aus einer monolithischen ERP-Welt und muss nun die Systeme so weit ertüchtigen, dass sie überhaupt IoT-fähig werden. Damit tun sich viele Unternehmen schwer, 15 Jahre ohne SAP-Release-Update sind nichts Ungewöhnliches in der Branche.
Es gibt auch das Gefühl, dass bereits viel Geld in die IT geflossen ist. Erst nach der Modernisierung ist aber die Einbindung von Sensorik oder Funksystemen und vor allem von den großen, heute entstehenden Datenmengen möglich, wie zum Beispiel Geodaten für das intelligente Routing von Lastkraftwagen.
Kunden erwarten oft einen allgemeingültigen Pfad: Den gibt es aber leider nicht. Am Ende ist die Digitalisierung doch individuell. Unser Ansatz besteht darin, mit einem ganzheitlichen Blick auf die Supply Chain eine Transformations-Roadmap beispielsweise von SAP LE TRA zu S/4 Hana mit den Anwenderunternehmen zu entwickeln.
Mit Ansätzen wie Industrie 4.0 und Internet of Things werden immer mehr Dinge entlang der Produktions- und Lieferkette vernetzt und in Echtzeit verfolgbar. Auch das stellt die Logistikanbieter vor große Herausforderungen.
Welche Probleme müssen die Unternehmen hier lösen und wie wichtig ist das Thema offene Plattformen?
Käber: Es entsteht sehr viel Aufwand im Bereich der Hardware-Integration in der Werkslogistik und der Entkopplung von manuellen Prozessschritten. Den Unternehmen geht es darum, wie sie Standorte automatisieren können, dazu gehören Check-in-Terminals an der Pforte, Waagen, OCR-Erkennungssysteme, Scanner und natürlich Sensorik.
Die Kunden der Logistikanbieter wollen ihre Lieferketten zunehmend proaktiv steuern. Dazu möchten sie jederzeit wissen, ob eine Lieferung pünktlich kommt und zu welcher Zeit exakt sie der Transport erreicht. Das Auslesen von Barcodes und Sensor informationen ist daher die Basis, um mit Realtime-Informationen innerhalb und außerhalb des Werksgeländes dieses Kundenbedürfnis erfüllen zu können.
Sobald also die Kernsysteme auf einen neuen, sozusagen IoT-kompatiblen Stand gebracht wurden, sollte in weiteren Schritten geprüft werden, welche Geschäftsprozesse digitalisiert werden können und welche Technologien oder Plattformen hierfür infrage kommen.
Wichtig ist, dass man sich nicht nur auf eine Plattform konzentriert, sondern einen offenen Standard wählt, der einen Plattformwechsel ohne Weiteres ermöglicht.
Künftig werden sich mit 5G-Netzwerken, also dem Mobilfunk der nächsten Generation, interessante Möglichkeiten ergeben, Prozesse mit noch mehr Daten anzureichern und weiter zu automatisieren.
Gibt es Unterschiede zwischen den Themen bei Großunternehmen und Mittelständlern?
Käber: Mittelständler sind nicht weniger komplex als Konzerne, im Gegenteil: Prozessschritte, die die Großen ausgesourct haben, werden im Mittelstand noch selbst geleistet.
Deutliche Unterschiede bestehen jedoch bei den Budgets. Weil häufig keine separaten Budgets für die Digitalisierung eingeplant werden, erwarten mittelständische Entscheider in der Regel, dass diese Themen bereits „out of the box“ am Markt oder in den bestehenden Lösungen vorhanden sind. Die Realität sieht allerdings leider anders aus.
Wo liegen denn die Schwierigkeiten?
Käber: Es fehlt in der Regel ein Layer, der das klassische ERP mit der physischen Welt verbindet, dazu zählen Sensoren, Kollaborationsprozesse, die Lokalisierung von Waren. Da sind heute in der Praxis immer noch viele manuelle Zwischenschritte üblich.
Obwohl es beispielsweise Datenstandards für den Containerverkehr gibt, nutzt jeder sie anders. Ein Benefit entsteht aber erst dann, wenn die Daten in einer Tracking-Plattform mit bestehenden Daten des Versenders verbunden werden.
Das bedeutet jedes Mal einen Entwicklungs- und Integrationsaufwand, verbunden mit der Diskussion, wo im Prozess eine Schnittstelle am meisten Sinn ergibt.
Welche Rolle spielt die Leogistics-Lösung Digital Supply Chain in diesem Kontext?
Käber: Wir haben unsere Lösungen für Tracking & Tracing, Transportplanung, Kollaboration, Transport Execution und werksinterne Logistikprozesse, die das SAP-SCM-Standardportfolio ergänzen, in eine Plattform eingebunden.
Die Digital Supply Chain bildet den Verbindungs-Layer zwischen physischer und virtueller Welt und unterstützt die gesamte medienbruchfreie operative Steuerung sowohl von internen als auch externen Transportprozessen über alle Verkehrsträger hinweg – auf der Straße, der See und in der Luft.
Andere Prozessteilnehmer können effizient in Prozesslandschaften, aber auch in IT- und Systemumgebungen integriert werden. Die Plattform lässt sich mit Internet-of-Things-Ansätzen und mit anderen Cloud-IoT-Plattformen verknüpfen.
Wo im Logistikmanagement könnte Blockchain-Technologie künftig die Prozesse deutlich verkürzen?
Käber: Die Blockchain-Technologie wird weiter an Bedeutung gewinnen und sich zum Beispiel überall dort etablieren, wo die gleichen Informationen unterschiedlichsten Prozessteilnehmern änderungssicher zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein Beispiel sind Fracht- und Zollpapiere.
Blockchain wird aber auch weitgehende Folgen für die Frachtplattform-Anbieter haben: Durch die Möglichkeit, per End-to-End- Kommunikation Anfragen und Verträge rechtssicher abzuwickeln, könnten teure Intermediäre überflüssig werden.
Heute fallen einfach nur für die Beauftragung eines Transportes bis zu zwölf Euro an, da kommen bei großen Volumen erhebliche Kosten zusammen. Gerade bei Frachtverträgen könnte Blockchain-Technologie B2B-Beziehungen zugunsten von End-to-End-Beziehungen ablösen. Schließlich ist es für jedes Unternehmen am interessantesten, mit seinen Kunden direkt zu reden.
Welche Auswirkungen werden KI-Algorithmen auf die Logistik haben? Was bedeutet das für die Logistiker und für das Supply Chain Management?
Käber: KI wird in der Logistik ein zunehmend wichtiges Thema. So lassen sich durch KI-Algorithmen, die auf Bilderkennung basieren, Inventurprozesse beschleunigen.
In einem Proof of Concept haben wir beispielsweise das Zählen von Stahlrohren in Bündeln automatisiert, indem das System gelernt hat, die Strukturen für Stahlstangen zu erkennen. Damit konnte eine erhebliche Zeiteinsparung bei der Inventur erreicht werden.
Für BMW im amerikanischen Spartanburg haben wir in der Werkslogistik Daten zu den Bewegungen von Fahrzeugen auf dem Werksgelände ausgewertet. Im Anschluss war es auf der Grundlage von Machine Learning möglich, automatisiert zu berechnen, wie lange eine beliebige Umsetzfahrt einer Lkw-Ladung zwischen zwei Wegpunkten im Werk theoretisch dauern wird.
Damit kann das System automatisch vorgeben, wann ein Trailer abfahren muss. Es ist davon auszugehen, dass evolutionäre Algorithmen künftig die traditionelle JIT/JIS-Logistik (Just in Time/Just in Sequence) verändern, indem in Sekundenintervallen durch die künstliche Intelligenz neu geplant wird.